Vom Problemkind zum Musterschüler
Von Marlen Schernbeck
Wie Pauls Gehirn mit Training neu programmiert wurde
Anna Dritsu wusste nicht mehr, was sie machen sollte. Ihr Sohn Paul konnte sich einfach nicht konzentrieren – weder zu Hause noch in der Schule. Bis sie etwas ausprobierten – Neurofeedback.
Pauls unruhige Art fiel schnell auf. „Seine Lehrerin hat mich darauf angesprochen, dass sein Verhalten nicht normal sei. Er beteiligte sich kaum und verließ ständig den Raum, um auf die Toilette zu gehen“, erzählt Anna Dritsu. Alle waren sich einig: Pauls Leistungen könnten viel besser sein. „Das war zum Verzweifeln.“ Schließlich stießen sie auf eine spezielle Behandlungsmethode und beschlossen, sie auszuprobieren.
Und tatsächlich: Nach insgesamt über zwanzig Sitzungen war Paul wie ausgewechselt, seine Konzentrationsschwäche dahin. Es war wie ein Wunder – das Zauberwort lautete: Neurofeedback. Kinder können mit dieser Methode zum Beispiel trainieren, ihr Gehirn bewusst auf Konzentration zu schalten. Nach und nach werden so Verhaltensmuster neu programmiert.
LANGSAME UND SCHNELLE HIRNWELLEN
„Unser Gehirn besteht aus unvorstellbar vielen Zellen, die Informationen elektrisch weiterleiten“, erklärt die Leipziger Ergotherapeutin Jeannette Päch. Diese Aktivität kann über Elektroden abgeleitet und auf einem Computer sichtbar gemacht werden. So zeigt sich ein bestimmtes Hirnwellenmuster – ein Zusammenspiel aus schnellen und langsamen Wellen. Im Idealfall ist es bestens reguliert und passt sich je nach Situation an. Kurz vor dem Einschlafen sind zum Beispiel vor allem die Alphawellen aktiv, in hektischen Situationen schlagen eher die schnellen Betawellen höher aus.
Doch nicht immer funktioniert dieses Zusammenspiel optimal. „Das ist wie in einem Orchester, manche Instrumente spielen zu laut, andere zu leise“, erklärt Päch. Sprich, bei manchen Menschen sind bestimmte Hirnwellen ständig zu aktiv, während andere zu gering ausschlagen.
FLUGZEUG DURCH GEDANKEN LENKEN
Genau hier setzt das Neurofeedback an. „Wir arbeiten mit Belohnungen“, so Päch. Während die Hirnströme eines Kindes gemessen werden, schaut es auf einen Bildschirm. Darauf ist zum Beispiel ein Flugzeug zu sehen, daneben ein grüner Reifen. Die Aufgabe des Kindes besteht darin, das Flugzeug durch den Reifen zu lenken – allein mithilfe seiner Gedanken. Das funktioniert, sobald seine Hirnwellenaktivität den zuvor eingegebenen Normwerten entspricht. Anfangs geschieht dies oftmals nur durch Zufall. Das Kind freut sich, das Gehirn merkt sich den Erfolg und versucht, diesen Zustand wiederzuerlangen. So programmiert sich das Gehirn Schritt für Schritt um.
ERFOLGSERLEBNISSE IM ALLTAG SCHAFFEN
Beim 11-jährigen Paul hat diese Methode gut funktioniert. Die Veränderungen fielen nicht nur seiner Mutter auf. „Vor einigen Wochen hat mir Pauls Lehrerin gesagt, dass Paul wie ausgewechselt sei und sich viel besser konzentrieren könne“, erzählt Anna Dritsu begeistert. Paul hat es geschafft, das Erlernte auch im Alltag umzusetzen.
Seine Lehrer loben ihn, er hat erneut Erfolgserlebnisse – ähnlich wie beim Neurofeedback. So soll die neue Programmierung auch langfristig wirken, erklärt Päch.
VORAUSSETZUNGEN FÜR NEUROFEEDBACK
Doch nicht für jeden ist das Neurofeedback geeignet. Die Kinder müssen zu einer gewissen Grundaufmerksamkeit fähig und mindestens etwa 6 Jahre alt sein. Neben Konzentrationsstörungen können auch andere Krankheitsbilder – etwa eine Epilepsie oder Depression – mittels Neurofeedback behandelt werden. „Entscheidend ist es, die Ursache für das Problem zu finden“, so Päch. Anfangs erfolgt deshalb immer ein ausführliches Gespräch. Ist der Auslöser gefunden und durch Neurofeedback behandelbar, kann das Umprogrammieren beginnen.
Wird Neurofeedback vom Arzt verordnet und von den Krankenkassen übernommen?
Besteht eine medizinische Indikation, kann das Neurofeedback zum Beispiel im Rahmen einer ergotherapeutischen Behandlung stattfinden. Die Kosten werden dann von den Krankenkassen übernommen. Ärzte und Psychotherapeuten können Neurofeedback unter anderem als Verhaltenstherapie abrechnen.
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