Schlau und gesund durch Singen

Von Jana Olsen
Beim Singen werden verstärkt Immunglobuline vom Typ A gebildet, die das Immunsystem stärken.

Der Neurobiologe Prof. Dr. Gerald Hüther: „Es ist eigenartig, aber aus neurowissenschaftlicher Sicht spricht alles dafür, dass aus der Perspektive einer Leistungsgesellschaft die scheinbar nutzloseste Leistung, zu der Menschen befähigt sind – und das ist unzweifelhaft das unbekümmerte, absichtslose Singen – den größten Nutzeffekt für die Entwicklung von Kindergehirnen hat. Und wer seine Singfähigkeit in der Kindheit entfalten konnte, der kann diese Effekte später über den ganzen Lebensbogen bis ins Alter nutzen. Denn Singen fördert in jeder Lebensphase die Potenzialentfaltung des Gehirns.“

Der Gesang teilt den Kindern den Himmel aus, denn sie haben noch keinen verloren.
Jean Paul

Ssss, brrrrr, mmh, schchsch“ – aus dem Turnraum der Kindertagesstätte Benjamin Blümchen ertönt ein ungewöhnliches Summen, Brummen und Schnaufen. „Ist eure Zunge schon wach?“, fragt Erzieherin Kathrin Birkigt. Da müssen die 4- und 5-Jährigen erst mal nachschauen. Also Zunge rausstrecken, so weit es geht. Die Übung gehört zum Aufwärmprogramm der Singmäuse.

SINGEN VERBINDET GENERATIONEN

Der Beginn einer ungewöhnlichen Musikstunde. Denn zwischen Florian und Friedericke, die hier gemeinsam „Theo spann den Wagen an“ und „Der Kuckuck und der Esel“ schmettern, liegen 80 Jahre. Friedericke Kruschinski ist mit 85 Jahren die Älteste der Singpaten, die jeden Dienstag in die Leipziger Kita kommen.
Insgesamt vierzehn Senioren kommen regelmäßig, um gemeinsam mit den Kindern Volkslieder zu singen. Sie haben sich über das Projekt Canto elementar gefunden, ein Generationen verbindendes Singpatenprogramm für Kindergärten. „Wir machen das jetzt gut drei Jahre und es funktioniert wunderbar“, erzählt Kathrin. Ein Jahr lang wurde die Erzieherin dabei von einer Musikpädagogin von Canto elementar begleitet und speziell geschult. Seit zwei Jahren ist der Kurs mit den ehrenamtlichen Singpaten ein Selbstläufer. „Bei uns darf jeder singen wie er will, man muss sich nicht verstecken“, erzählt die Erzieherin. „Ich bin auch kein Meistersänger, aber ich singe, was das Zeug hält. Das steckt an und motiviert die Kinder, die sich noch nicht trauen mitzusingen.“

MIT HERZ UND STIMME DABEI

Beste Unterstützung bekommt die Erzieherin von den Singpaten. Sie sind alle im Rentenalter und haben sich über Flyer und Mundpropaganda gefunden. Sie sind mit dem Herzen, der Stimme und zwei Akkordeons dabei. „Ich bin so froh über dieses generationsübergreifende Projekt. Es macht viel Freude zu sehen, welche Fortschritte die Kinder machen und welchen Spaß sie haben“, freut sich Petra Tomczak. Und Friedericke Kruschinski schiebt hinterher: „Das komplette Kontrastprogramm zum Altersheim.“ Denn dort singt und unterrichtet die 85-Jährige auch jede Woche. „Nur wenige Eltern haben heute die Zeit, mit ihren Kindern zu singen. Unsere Paten haben alle den Mut dazu und bringen jede Menge Elan mit. Genau das, was die Kinder brauchen“, findet Kindergärtnerin Kathrin Birkigt. „Und wir freuen uns immer, wenn noch jemand dazu kommt“, ergänzt Eva-Maria Cordes.

STARKES SELBSTBEWUSSTSEIN

In jeder Stunde gibt es neben den Aufwärmübungen eine kleine Gehörschulung mit Glöckchen, gesungen wird nach einem Liederbuch von Canto elementar. „Die Lieder machen nicht nur Spaß, sondern sind nach speziellen wissenschaftlichen Kriterien ausgesucht, haben eine bestimmte Grammatik, eine bestimmte Sprachmelodie“, erläutert Kathrin. Das hilft besonders Kindern, die in dieser Hinsicht noch Reserven haben. „Wir hatten schon stotternde Kinder, die nach drei, vier Monaten nicht mehr gestottert haben. Wir hatten auch schüchterne Kinder, die anfangs nicht mal ihren Namen sagen wollten, die später in der Singstunde plötzlich aufgestanden sind und vor allen anderen ein Solo schmetterten.“ Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen die Erfahrungen der Erzieherin: Kinder, die singen, entwickeln sich auf allen Ebenen besser als Kinder, die nicht singen. Es fördert die Sprach- und Lernfähigkeit, stärkt das Selbstbewusstsein, reduziert Ängste und Aggressionen.

EINFACH MITMACHEN

Das Musikförderprogramm Canto elementar startete 2003 mit zwanzig Kitas in Nordrhein-Westfalen. Es wurde von dem Musikpsychologen Dr. Karl Adamek ins Leben gerufen. Heute erreicht es mehr als 150 Kindergärten mit rund 10.000 Kindern und 1.000 Singpaten. Im vergangenen Jahr erhielt das Generationsprojekt sogar den Deutschen Nationalpreis. „In den neuen Bundesländern ist allerdings Leipzig die einzige Stadt, in der wir Gruppen haben“, bedauert Projektleiterin Anke Bolz von Canto elementar. Wer eine Gruppe gründen oder sich zum Canto-Gruppenleiter ausbilden lassen möchte, kann über das Förderprogramm Kontakte knüpfen.
Leoni, Leni und Florian von den Leipziger Singmäusen warten jedenfalls jede Woche sehnsüchtig auf ihre Singpaten. Denn die „machen Spaß“, sind „toll“ und „lustig“, finden die Knirpse.

CANTO ELEMENTAR
… ist ein Generationen verbindendes Singprogramm für Kindergärten. Es steht in Leipzig unter der Schirmherrschaft von Sebastian Krumbiegel von der Band Die Prinzen: „Wenn ältere Menschen zusammen mit Kindern singen”, sagt der Sänger, „dann ist das ein Treffen der Generationen der besonderen Art. Musik verbindet die Menschen miteinander und öffnet Herzen.”

Projektleitung Canto elementar
Hardy Schumacher, Augustastr. 30, 45525 Hattingen
Tel.: 02205-947 75 40, mobil: 0160-965 699 06
E-Mail: hardy.schumacher@il-canto-del-mondo.de

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