Nach den Sommerferien alles anders
Von Ingrid Exo
Von den wahren Problemen Pubertierender haben Erwachsene bekanntermaßen nicht den blassesten Schimmer. So offenbart schon der Blick in den Spiegel den Jugendlichen oft etwas anderes als ihren Eltern. Auch die 13-jährige Lina ist da keine Ausnahme. Sie sieht da was, was ihre Mutter nicht sieht. Und: Hier geht es nicht um die Frage von zu dick oder zu dünn oder einen unfassbar entstellenden Pickel – sondern um ein unfassbar entstellendes Horn. Da ist es auch kein Trost, dass es grün ist und glitzert.
Doch eigentlich fing das mit den seltsamen Veränderungen noch ganz anders an. Wer kennt das nicht: Nach den Sommerferien ist nichts mehr wie es war. Aber für Lina ist wirklich alles krass anders. Schon allein, weil ihre allerbeste Freundin Ella mit ihrer Familie nach China gezogen ist.
Aber da sind ja eigentlich noch ihre Freundinnen Hilal, Josi und Isa. Doch der erste Schultag nach den Ferien fängt damit an, dass ihre zweitbeste Freundin Hilal den Platz neben sich im Schulbus für jemand anders freihält. Und auf dem Pausentreffpunkt bei den großen Steinen, der ausschließlich den fünf Freundinnen vorbehalten war, thront auf dem freigewordenen Platz der ausgewanderten Ella nun eine Konkurrentin und Lina ist nicht mehr erwünscht. Freundin Isa fehlt, sie ist krank.
Extra blöd: Lina hat kein Handy mehr, das hat sie gegen die Wand gepfeffert, als sie erfuhr, dass Ella nach China zieht. Und so bekommt sie als Einzige aus der Gruppe auch keine Bilder von Ella. Und dann kommt noch Leo ins Spiel. Leo ist „peinlich“, er sieht komisch aus, ist zappelig, er stottert im Unterricht und sitzt in der Klasse nun neben Lina.
Und um Linas Unglück komplett zu machen, wird sie gemobbt. Weil zwei Mitschüler Wasser auf ihren Stuhl gekippt haben, muss sie mit nasser Hose herumlaufen, und ein Video davon geht auf der Plattform Dudop viral. Die ganze Schule lacht über sie und so schwänzt Lina vor Scham wochenlang die Schule.
Ella und Lina entfremden sich, auch Ella sieht auf den Selfies, die Lina ihr schickt, kein Horn und glaubt auch nicht daran. Aber: Es hat sich inzwischen herausgestellt, dass nur Kinder es sehen können. Erwachsene nicht und man kann es auch nicht fotografieren.
Abkehr und Umkehr
Erst jetzt, wo sich alle abkehren, kommt es Lina in den Sinn, sich bei der kranken Isa zu melden. Die sich wegen psychischer Probleme in einer Klinik befindet. Das schließlich wird die Freundinnen wieder zusammenführen, denn als Isa sie um Hilfe bittet, fassen sie den Plan, Isa aus der Klinik „zu befreien“.
Aber noch etwas geschieht: Lina ist bald nicht mehr die Einzige mit einem „Gewächs“: Hilal bekommt große gelbe Ohren (und entscheidet sich deshalb, fortan Kopftuch zu tragen), selbst Linas Mobbing-Widersacher Finn-Ole ist betroffen, und Isa ist nicht zuletzt deshalb in der Psychiatrie, weil man ihre hellblauen Hörner für eine Wahnvorstellung hält. Nur Josi hat keins – reicht ja schon, dass sie schwarz ist, um aufzufallen.
Aber neben diesen ebenso unerklärlichen wie unerwünschten Erscheinungen wachsen in diesen Jugendlichen auch noch bisher verborgene Stärken heran.
So wie Josi bei der Befreiungsaktion organisatorisches Talent beweist, erweist sich Leo als guter Redner und patenter Organisator einer Schulparty.
Vom Wert der Freundschaft
So werden die Gewächse Sinnbild eines Wandlungs- und Reifungsprozesses. Einfühlsam und glaubwürdig werden die inneren Konflikte und emotionalen Herausforderungen Heranwachsender geschildert. Viele der teils packend abenteuerlichen Geschehnisse entsprechen der Alltagserfahrung heutiger Teenager. Ohne übertriebene Dramatik werden Themen wie Mobbing, Diversität und psychische Erkrankungen eingeflochten. Ein Gendersternchen findet ebenso beiläufig Eingang wie kulturelle und ethnische Vielfalt. Im Vordergrund steht vor allem der prekäre Stellenwert von Freundschaften, der in dieser Zeit des Erwachsenwerdens besonders nötig und doch gefährdet ist, weil einfach alles in Frage gestellt und neu verhandelt wird.
Und irgendwann ist dann wie von selbst nach und nach wieder alles gut. Die Kinder haben neue Qualitäten entwickelt, die Freundschaften formen sich neu und die Gewächse verschwinden allmählich.
Karin Koch
Linas Geheimnis
Illustrationen: Magdalena Fournillier
Verlag: Peter Hammer Verlag
Ab 11 Jahren
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