Lebensmodelle nach der Trennung

Von Claudia Hempel

Wechsel-, Nest- oder Residenzmodell?

Familie über zerbrochenem Herz

Wenn Eltern sich trennen, gerät die Welt aller Beteiligten ins Wanken. Dem letzten Schritt, dem finalen Satz: „Ja, wir trennen uns!“ gehen oft Jahre eines unheilvollen Kreislaufs aus Nähe und Distanz, Schweigen und Schreien, Ignoranz und Unsicherheit voraus.
„Die meisten Eltern kommen zu spät, das ist schade“, sagt Andreas Rösch. „Wären sie ein wenig früher gekommen, hätte man die Trennung vielleicht vermeiden können.“
Andreas Rösch ist selbst Vater von zwei Kindern und Leiter der evangelischen Beratungsstelle der Diakonie Dresden. Er hat viele Jahre Erfahrung als Berater und zahlreiche Paare während und nach der Trennung begleitet.

Wir sind kein Paar mehr, aber wir sind Eltern

Es ist oft so, dass die Paare in der sogenannten Ambivalenzphase kommen. Das ist die Phase zwischen noch zusammen und schon getrennt – sie wissen, miteinander geht es nicht mehr, aber alleine geht es auch nicht. Weit über die Hälfte der Eltern, die Hilfe suchen, lässt sich zu Trennungsfragen beraten. Diese Eltern sitzen dann vor Rösch und sagen: „Wir haben uns als Paar nichts mehr zu sagen, aber wir sind Eltern.“ Das ist immerhin eine gute Ausgangslage, weil es zeigt, dass sich die Erwachsenen durchaus in der Pflicht sehen, ihren Kindern die neue Lebenssituation nicht nur zu erklären, sondern sie auch mit Leben zu erfüllen.

Und immer wieder versuchen die Beraterinnen und Berater auszuloten, ob es nicht doch noch möglich ist, dass die Eltern zusammenbleiben. Denn oft glauben die Paare irrtümlich, wenn sie sich trennen, würden sie sich von zahlreichen Problemen gleich mit trennen. Das ist leider nicht so. Die Probleme bleiben und sie sind sicherlich schwieriger zu lösen, wenn man sich nur noch als Eltern und nicht mehr als Paar begreift. Die Trennung sollte wirklich die allerletzte Option sein, vorher sollte man um alles kämpfen.

Andreas Rösch hat über Jahrzehnte  Familien, Eltern und Alleinerziehende beraten, wie so ein Leben nach einer Trennung aussehen kann. Welches der verschiedenen Modelle ist das Beste für die Kinder? Oder für die Familie? Welche Modelle gibt es überhaupt?

Lebensmodelle nach der Trennung

Trennung der Eltern hieß bis in die 2000er-Jahre auch mehr oder weniger Trennung von einem Elternteil, in der Regel vom Vater. Beim sogenannten Residenzmodell obliegt die Betreuung des oder der Kinder vorwiegend einem Elternteil, der andere hat weitgehende Umgangsrechte.
Doch ganz allmählich hat sich eine weitere Familienform etabliert: das Wechselmodell. Dabei wechseln die Kinder nach einer fest definierten Zeit von der Wohnung des einen Elternteils zur Wohnung des anderen Elternteils, sie pendeln also. Die Eltern teilen sich die Betreuung paritätisch. Deshalb wird es auch häufig paritätisches Doppelresidenzmodell genannt. Die Debatten um dieses Modell sind heftig, sowohl was juristische Fragen angeht, als auch Fragen des Kindeswohls.
Nun hat eine Forschungsgruppe erstmals verschiedene Aspekte beleuchtet und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen.

Kinder im Doppelresidenzmodell weisen weniger psychische Probleme auf, leiden seltener unter psychosomatischen Beschwerden, haben einen allgemein besseren Gesundheitszustand, sind besser integriert in Gleichaltrigengruppen und haben bessere Noten in der Schule als beim klassischen Residenzmodell.

Auch für viele Eltern hat dieses Modell viele positive Aspekte. Das hat eine Studie namens FAMOD gezeigt, in der 1.554 Familien befragt wurden.
Eine weitere Möglichkeit ist das sogenannte Nestmodell. In dem Fall verbleiben die Kinder in der früheren gemeinsamen Wohnung. Die Eltern wechseln sich jeweils für eine bestimmte Zeit mit der Betreuung in dieser Wohnung ab. Letztlich eine Art umgedrehtes Wechselmodell, denn in dem Fall sind es die Eltern, die pendeln. Dafür benötigen beide Elternteile eine zusätzliche eigene Bleibe.

Das Nestmodell – gut für den Anfang

Nach einer Trennung kann es für den Anfang sogar gut sein, im sogenannten Nestmodell zu leben.  Immerhin bietet es den Vorteil, dass die Kinder ihre vertraute Umgebung nicht verlassen müssen.
Allerdings, weiß Rösch, funktioniert dieses Modell nicht mehr so gut, sobald ein Elternteil eine neue Beziehung eingeht. Aber als Übergangsmodell für ein bis zwei Jahre hat es durchaus seine Berechtigung. 
Die meisten Eltern entscheiden sich stattdessen dann für das Wechselmodell. Besonders in Familien, in denen beide Elternteile im Umgang mit den Kindern vorher sehr gleichberechtigt waren, wird diese Variante vorgezogen.
Dieses Modell ist zwar für die Gesamtkonstellation die beste aller Lösungen. Aber, so schränkt Rösch ein, sie verlangt den Kindern einiges ab, denn sie müssen zwischen zwei Orten und Lebensrealitäten hin und her pendeln.

Das sind permanente Anpassungsprozesse. Idealerweise sollte der Wechsel dann auch nicht in der Wohnung eines Elternteiles stattfinden, sondern möglichst im Kindergarten oder Hort. Das Kind wird beispielsweise von einem Elternteil morgens in den Kindergarten oder Hort gebracht und vom anderen Elternteil dort abgeholt. Psychisch ist diese Lösung für alle Beteiligten die am wenigsten belastende.

Jeder Wechsel bedeutet Stress – für Kinder und Eltern

Denn gerade diese Phase des Wechsels oder die sogenannte Adaptionsphase ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Es gibt Kinder, die können wunderbar switchen, wieder andere haben große Probleme. Rösch fällt da der Fall einer Mutter ein,  die  sich immer perfekt auf „ihre“ Woche vorbereitet hatte. Am Sonntag, dem Wechseltag, hat sie  das Lieblingsessen des Sohnes gekocht, wollte viel mit ihm sprechen und hat sich sehr gefreut. Der Sohn allerdings blieb wortkarg, fast abweisend, hat sich stumm in sein Zimmer verkrochen und mit  Kopfhörern Hörspiele gehört. Er war nicht ansprechbar. Darunter hat die Mutter sehr gelitten. Teil der Beratung war es dann, herauszufinden, wie dieser Übergang weniger schmerzvoll gelingen kann. Am Ende stand folgendes Modell: Der Sohn kam, schloss sich mit seinem Hörspiel ins Bad ein und legte sich in die Wanne. Als er wieder rauskam, war er kontaktbereit und der Mutter zugewandt. Das Bad, der Moment hinter der abgeschlossenen Tür, war seine Adaptionsphase.
Solche Rituale sind extrem wichtig. Es gehört eine gute Beobachtungsgabe dazu, Momente zu finden, die Kinder stärken. Auch dafür ist die Beratung da.
 

Beratung: So lange wie nötig, statt so lange wie möglich

„Wir verstehen uns als eine Art Bergführer in schwierigem Gelände. Das ist ein Bild, das ich den Eltern anbiete.“ Damit will Andreas Rösch deutlich machen, dass er Angebote schafft, dass er mitdenkt, aber auch eigene Erfahrungen mit in den Diskussionsprozess einbringt. Das erspart den Eltern nicht, den Weg dann selbst zu gehen.

Auf die Frage hin, wie lange so ein Beratungsprozess dauert, meint Andreas Rösch fast salomonisch: „So lange wie nötig und nicht so lange wie möglich.“ Die Beraterinnen müssen spüren, dass die Eltern auch wirklich wollen, sie müssen an den Themen arbeiten, sie müssen sich und die Situation weiterentwickeln. Wenn das nicht funktioniert, dann wird im härtesten Fall die Beratung auch abgebrochen. Das kommt zum Glück extrem selten vor, aber es ist auch nicht ausgeschlossen.

Was die Beratungsstelle nicht leisten kann, ist eine rechtliche Beratung. In dem Moment, wo es um Fragen des Sorgerechts, Umgangsrechts oder Kindeswohlgefährdungen geht, sind andere Stellen zuständig.
Was Rösch und seine Mitstreiterinnen aber anbieten können, ist erst einmal ein offenes Ohr. Und das wissen Mütter oder Väter, die möglicherweise allein zum Erstgespräch kommen, zu schätzen. „Die sagen dann, das tat gut, dass ich das mal so erzählen konnte. Wenn ich das meinen Freundinnen erzähle, klopfen die mir auf die Schulter und sind bedingungslos solidarisch. Hier habe ich ein ehrliches Gegenüber, wo ich auch mal die Rückmeldung bekomme, dass ich in dem und dem Punkt vielleicht falschliege.“

Es ist wichtig, beide Seiten anzuhören. Und wenn zuerst die Mutter in die Beratung kommt und ein Einzelgespräch wahrnimmt, sollte auch der Vater die Chance bekommen. So schreibt Rösch dann auch den Vater an und lädt ihn zum Gespräch ein. Dabei mache es sich positiv bemerkbar, dass er als Mann anfrage. In der Beratungsstelle arbeiten zwei Männer und beide haben die Rückmeldung bekommen, dass Väter sehr dankbar sind, einem Mann gegenüber zu sitzen. Sie beschreiben oft, dass sie in anderen Gesprächen oftmals in reinen Frauenrunden sitzen und manchmal daran zweifeln, ob ihre männliche Perspektive entsprechend beachtet wird.

In ganz schwierigen Fällen – die kommen aber nur extrem selten vor – bietet die Familienberatung auch Gespräche zu viert an – da bekommt die Mutter eine Beraterin zur Seite und der Vater einen Berater. Das ist sehr personalintensiv und auch planerisch eine Herausforderung – schließlich müssen vier Terminkalender koordiniert werden. Manchmal lassen sich aber nur so verkrustete Positionen aufbrechen und neue Perspektiven eröffnen.

Buchtipp zum Thema
Mit vielen Fakten, informativen Tipps (beispielsweise zu Kinderrechten) und Erfahrungsberichten betroffener Kinder:

Frauke Angel
Vorsicht, frisch geschieden! Ein Survival-Buch für Trennungskinder
Illustrationen:  Meike Töpperwien
Verlag: Klett Kinderbuch
ab 9 Jahren

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