Die neue Unfallgefahr: Der „Smombie“ geht um!

Von Eva Jobst
Mädchen mit Kopfhörer und Smartphone läuft auf Straße

Wie der sprichwörtliche Hans-Guck-in-die Luft gucken Kinder heute ganz selbstvergessen auf ihr Smartphone. Von der Welt um sie herum bekommen sie nicht mehr viel mit. Einen eigenen Begriff hat man für sie sogar schon erfunden: „Smombie“ – ein Kunstwort aus Smartphone und Zombie, das 2015 sogar zum Jugendwort des Jahres gekürt wurde. Klingt lustig – ist es aber leider nicht.

Denn Mediziner haben zunehmend mit Unfällen zu tun, die daher rühren, dass die Aufmerksamkeit von Kindern und Jugendlichen wegen intensiver Handynutzung stark eingeschränkt ist.

Deshalb haben Ärzte der Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie des Universitätsklinikums Leipzig die weltweit erste Fallstudie von Unfällen veröffentlicht, bei denen das Smartphone eine entscheidende Rolle gespielt hat. Dabei wurden die Jahre 2008 – 2018 betrachtet. Scheinbar handelt es sich um eine geringe Zahl: Es gab zehn solcher Unfälle. Acht davon geschahen jedoch erst 2016 und später. Und: Die Dunkelziffer liegt vermutlich viel höher, denn viele Verletzte geben die Unfallursache nicht exakt an oder gehen gar nicht zum Arzt. Professor Martin Lacher, Direktor der Leipziger Klinik, geht davon aus, dass die Zahl in absehbarer Zeit dramatisch ansteigen könnte. Noch, so sagt er, gab es keine Todesfälle – aber sie werden unweigerlich kommen.

MÄDCHEN BESONDERS GEFÄHRDET

Die Unfallursachen der untersuchten Fälle zeigen: Die Kids haben bisher einfach Glück gehabt.

Da ist ein 16-jähriges Mädchen beim Versuch, ein Selfie zu machen, rückwärts auf ein Glasdach getreten und abgestürzt. Die dramatische Folge: Mehrere Wirbelbrüche. Einem anderen 16-jährigen Mädchen fuhr ein Auto über die Hand, als es ein heruntergefallenes Smartphone aufheben wollte. Und eine 12-Jährige wurde von einem Auto angefahren, als sie aufs Display starrend die Straße überquerte. Sie brach sich den Beckenring. Dass vor allem Mädchen betroffen sind – immerhin zu 80 Prozent! – erklärt sich damit, dass sie offenbar anfälliger für eine Abhängigkeit von den neuen Medien sind. Das fand die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung heraus.

WAS ALSO TUN?

Professor Lacher nennt Beispiele:
In China, den USA, Belgien und Litauen gibt es spezielle Fußwege für unaufmerksame Smartphonenutzer, bei denen der Pfad auf den Boden gemalt wurde. In Frankfurt, Köln, Augsburg und auch in den Niederlanden wurden versuchsweise Fußgängerampeln am Erdboden montiert, liebevoll „Bompeln“ genannt. Der Nachteil: Fußgänger, die wegen ihrer Smartphonenutzung nur nach unten schauen, wiegen sich in falscher Sicherheit. An der Unaufmerksamkeit für das Gesamtgeschehen im Verkehr ändert sich nichts. Auf jeden Fall sollten auch Fußgänger deutlich bestraft werden, wenn exzessive Handynutzung der Grund für einen Unfall ist – genauso wie es schon seit Jahren beim Telefonieren am Steuer der Fall ist, meint Professor Lacher.

Vor allem aber kommt es aus seiner Sicht auf das Vorbild der Erwachsenen an. Nur Eltern, denen es gelingt, ihr Leben mit dem Smartphone auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren, können ihren Kindern vermitteln, wie sie sinnvoll mit diesem wichtigen, aber auch suchtgefährdenden neuen Medium umgehen. Lediglich das kann langfristig die Zahl der jugendlichen Smombies reduzieren. Denn Verbote bringen nachweislich wenig.

Martin Lacher, selbst Vater, hat sich aus diesem Grund ein einfaches Tastentelefon zugelegt, das nur dem Zweck dient, erreichbar zu sein.

Laut einer Studie von Bitkom, dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V., haben bereits drei von vier Kindern im Alter von 10 Jahren ein eigenes Smartphone, bei den 12-Jährigen sind es schon fast 100 Prozent! Die kleinen elektronischen Alleskönner werden vor allem zum Musikhören, zum Surfen im Netz und für die persönliche Kontaktpflege genutzt.

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