Bis nichts mehr geht

Von Ida Hollerbusch
umgefallene Dose mit Crystal Meth

Seit über fünfzehn Jahren ist Sebastian Caspar clean. Der gebürtige Weißenfelser hat über seine Crystal-Sucht einen autobiografischen Roman geschrieben, der mittlerweile in Sachsen-Anhalt Schullektüre ist. Seit der Erstveröffentlichung 2014 war er deutschlandweit an über 500 Schulen unterwegs, um aufzuklären und seine Geschichte zu erzählen.

Wie hat Ihre Crystal-Karriere angefangen?

Meine Crystal-Karriere begann 1997. Crystal war irgendwann da, es war eine neue Droge und wir haben sie C genannt. Wir hatten überhaupt keine Ahnung, was das ist. Diese Erfahrungsgeschichten, die Bilder, die abschreckenden Beispiele, die wir heute haben, gab es damals nicht.

War Crystal Ihre erste Droge?

Wir haben auch Heroin probiert und alles Mögliche andere. Aber die klassischen Aufputschdrogen wurden bei mir zum Problem. Es gibt für jeden die perfekte Droge. Bei mir war es Crystal Meth. Der Weg in die Sucht war völlig banal: Es war da und ich war der Typ, der sich keine Gedanken darum machte. Ich habe es konsumiert, und machen wir uns nichts vor, wenn Drogen nur negativ wären, würde sie ja keiner nehmen. Es war ja toll am Anfang. Das war das Problem.

Sebastian Caspar (c) Christian Modla
Sebastian Caspar (© Christian Modla)
Wann haben Sie gemerkt, dass es nicht mehr toll ist?

Harter Drogenkonsum ist Selbstverletzung. Im letzten Drittel war mir völlig bewusst, was ich tue. Ich habe mich gehasst auf dem Zeug. Ich habe dann Herzrhythmusstörungen bekommen. Es gab Situationen, da habe ich eine Line* reingeballert, dagesessen, den Pulsschlag gefühlt und auf den Herzschlag gewartet, der nicht kam. Dann kam er wieder und anstatt aufzuhören, habe ich noch ’ne Line gezogen. Das ist Sucht. Es ist dir klar, was du tust. Und auf der anderen Seite ist es der völlige Kontrollverlust.

Wie war Ihr Weg raus aus der Sucht?

Ich hatte in den letzten drei Jahre schon keinen Bock mehr. Es gab längere Konsumpausen, es gab aber auch immer wieder Rückfälle. In Veranstaltungen spreche ich von drei Säulen des Clean-Werdens: die unbedingte Motivation, aufhören zu wollen, ein radikaler Wechsel des sozialen Umfeldes und eine neue Lebensplanung. Was mich gerettet hat, ist meine heutige Familie. Meine Frau ist Balinesin. Es war eine immense Verantwortung, eine Ausländerin aus einem Dritte-Welt-Land nach Deutschland zu holen. Das brauchte eine komplette Lebensumgestaltung und einen klaren Sebastian. Ich habe mich von einer stoffgebundenen Sucht in eine stoffungebundene namens Liebe gestürzt. Heute bin ich in einem sicheren Hafen, würde ich sagen.

Sie gehen mit Ihrem autobiografischen Roman „Zone C“ an Schulen und sprechen mit den Schülern über Crystal. Was ist Ihre Botschaft an die Jugendlichen?

Ich fange an, über mich zu erzählen und wenn eine Veranstaltung gelingt, reden wir über den Weg ins Leben. Wir müssen uns bewusst werden, dass wir Drogen niemals von der Straße bekommen. Man muss den Kids klar machen, dass sie alles, was sie entscheiden, für sich entscheiden, auch der erste Konsum, der ihr erster Schritt in die Sucht ist.

Was nehmen die Jugendlichen aus Ihren Veranstaltungen mit?

Ich spreche darüber, was Crystal ist, wie es hergestellt wird, welche Konsummuster es gibt, was eine Überdosis ist und woran man sterben kann. Ich erzähle von einem Freund, der es nicht geschafft hat, dem eine Vene im Nacken geplatzt ist, den ich noch auf der Intensivstation besuchen durfte. Das bleibt. Ich schone die Kids nicht. Ich packe alles auf den Tisch – auch in der siebten Klasse.

*Line ziehen = das Pulver in eine Linie legen und über die Nase einatmen (schnupfen)

Buchtipp
Sebastian Caspar, Zone C
Sten lebt in einer ostdeutschen Kleinstadt. Sein Alltag wird bestimmt vom Crystal-Konsum und den Erinnerungen an seine Freundin Asic, die in den Westen gegangen ist. Halt findet er nur bei seinem Freund Monti. Doch Monti hat ein dunkles Geheimnis, und auch Sten selbst ist dem Abgrund näher, als ihm bewusst ist.
Mehr Informationen auf der Webseite von Sebastian Caspar:  www.leben-lieben-leiden.de

Die Top-Ten-Liste der Crystal-Meth-Hauptstädte Europas, drei deutsche Städte sind die Spitzenreiter in Sachen Konsum

1. Erfurt
2. Chemnitz
3. Dresden
4. Bratislava (Slowakei)
5. Brno (Tschechische Republik)
6. Budweis (Tschechische Republik)
7. Piestany (Slowakei)
8. Kaunas (Litauen)
9. Barcelona (Spanien)
10. Jyväskylä (Finnland)

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