Kinder auf der Intensivstation

Von Claudia Hempel

Ängste abbauen und Zuversicht geben.

Wenn Kinder intensivmedizinisch behandelt werden müssen, kommt es nicht nur auf medizinischen Sachverstand an. Die betroffenen Familien brauchen auch psychologische Begleitung und allgemeine Aufklärung. Das gilt für die Eltern ebenso wie für die Geschwister und natürlich die erkrankten oder verletzten Kinder selbst.

Auf der Kinderintensivstation der Uniklinik in Dresden ist man sich dessen bewusst. Psychologin Cynthia Pönicke und Fachkinderkrankenschwester Frida Regner gehören zu einem interprofessionellen Team, das bei dieser Art der Begleitung Hand in Hand arbeitet. Dieses Team hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich der Sorgen und Nöte der Eltern anzunehmen, ihre Ängste abzubauen. Denn wenn Kinder auf der Intensivstation betreut werden müssen, bedeutet das immer, dass die Familie in ihrem Gesamtgefüge erschüttert wird. Eine Unterstützung der ganzen Familie kommt auch den Kindern zugute. Es wirkt sich positiv auf den Behandlungsverlauf aus. „Wir brauchen die Eltern, um die Kinder gut begleiten zu können“, verdeutlicht Cynthia Pönicke. Schließlich überträgt sich die Stimmung der Eltern auf die Kinder. Und Kinder, die weniger Angst haben, brauchen auch weniger Schmerzmittel.

PSYCHOLOGISCHE BETREUUNG WÜNSCHENSWERT UND HILFREICH

Dass psychologische Begleitung neben der medizinischen und pflegerischen Betreuung für Stabilität und Vertrauen sorgen kann, liegt auf der Hand. Umso verwunderlicher ist es, dass eine solche Eltern-Kind-Arbeit auf einer Kinderintensivstation nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist. „Es gibt Studien, die belegen, dass es sinnvoll ist, psychologische Hilfe in der Kinderintensivmedizin anzubieten. Es gibt aber deutschlandweit nur wenige Kliniken, die das auch tun“, sagt Cynthia Pönicke.

Psychologin Cynthia Pönicke (©UKD/Intensivzeit)

Seit drei Jahren arbeitet die Psychologin auf der Station. Engagierte Eltern und nicht zuletzt Professor Sebastian Brenner, Bereichsleiter der interdisziplinären Pädiatrischen Intensivmedizin im Fachbereich Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, haben sich für die Einrichtung einer solchen Stelle eingesetzt. Brenner war die treibende Kraft hinter der Initiative und hatte dafür gemeinsam mit der Stiftung Hochschulmedizin eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Mittlerweile ist die Stelle der Psychologin fest integriert. Das komplette Behandlungsteam, Ärztinnen und Pflegende sowie die Kinder und deren Familien erfahren dadurch eine echte Entlastung – manchmal bewusst, manchmal unbewusst.

EIN LANG ANHALTENDES VERTRAUENSVERHÄLTNIS

Je nach Krankheit begleiten Pönicke und Regner manche Kinder und Jugendliche über viele Jahre. Da entsteht ein sehr vertrautes Verhältnis. Doch auch die akuten Fälle bleiben manchmal wochen- oder monatelang auf Station und immer wieder auch im Kopf. „Mir fällt da ein kleines vierjähriges Mädchen ein, das mit schwersten Verbrennungen in die Rettungsstelle eingeliefert wurde. Die Angehörigen konnte ich von Anfang an, ab dem Moment des Eintreffens in der Notaufnahme, begleiten“, erzählt Pönicke.

Ein tragischer Unfall ging dem voraus. Haare und Kleidung der Vierjährigen hatten sich an einem Teelicht entzündet, das Kind erlitt daraufhin schwerste Verletzungen. So eine Tragödie hinterlässt Spuren: bei den Eltern, die sich neben den Sorgen auch Vorwürfe machen, bei den Geschwistern, von denen manche dabei waren, als es passierte. Das sind die Momente, in denen Psychologin Cynthia Pönicke genau das anwenden kann, was sie in ihrer psychologischen Zusatzausbildung in Krisenintervention und Notfallseelsorge gelernt hat. „Da muss man die Eltern auf vielen Ebenen begleiten. Sie mussten ja erst einmal um das Leben ihres Kindes bangen, weil die Ärzte anfangs nicht wussten, ob ihre Tochter überleben wird. Und dann geht es um Themen wie Schuldgefühle – hätte ich das verhindern können? Wie schwer sind die Verletzungen? Wie wird das Kind später mal aussehen?“

AUFKLÄRUNG ENTSPANNT DIE SITUATION

Wenn die Kinder nach der Operation auf Station kommen, erklären Pönicke und Regner den Eltern, wie so eine Intensivstation funktioniert. Welche Geräte stehen dort? Was machen die Geräte? Wer kümmert sich um was? Frida Regner ergänzt: „Das ist auch sehr wichtig, denn häufig haben die Eltern, sicher auch durch die Fernsehbilder seit der Coronapandemie, ein sehr bedrohliches Bild von einer ITS. Sie haben dort Menschen in Bauchlage gesehen, die sich nicht mehr bewegen können. Das schürt Ängste.“

Fachkinderkrankenschwester Frida Regner (©UKD/Intensivzeit)

Auch hier ist ein begleitendes Gespräch hilfreich, denn zunächst einmal sind die Eltern von all der Technik überwältigt. Überall Geräte, Kurven werden aufgezeichnet, es blinkt, es brummt, es summt. Und irgendwo dazwischen liegt dann das eigene Kind. Und dieses Kind reagiert aufgrund der Narkosenachwirkung zunächst überhaupt nicht auf die Eltern. Es schaut nicht zu ihnen hin. Es greift nicht nach der Hand. Das macht den Eltern noch mehr Angst. „Da erklären wir dann den Eltern, dass das die Medikamente sind, die wir den Kindern geben. Sie bewirken, dass die Kinder weniger Schmerzen haben“, erklärt Frida Regner, die Kinderkrankenschwester. Für Eltern ist das wichtig zu wissen, denn „die lechzen ja in dem Moment nach jeder Reaktion, wie: Jetzt hat er mich angeschaut, jetzt hat sie die Hand bewegt.“

ELTERN WESENTLICH BETEILIGT AM HEILUNGSPROZESS

Gerade wenn es um Unfälle geht, liegen oft nur wenige Stunden zwischen einem entspannten, normalen Miteinander als Familie und dem intubierten, verkabelten Kind auf der Intensivstation. Was hier entsteht, ist erst einmal ein Vakuum. Und niemand weiß, wie das Kind erwacht. Wird es so wie vorher sein? Wie wird es das Erlebte verarbeiten?

Was können Eltern in dieser Situation für ihr Kind tun? „Was wir den Eltern immer wieder vermitteln, ist: Sie sind die wichtigsten Akteure im Heilungsprozess, egal wie viel Technik drum herum ist. Eltern und Kind sind eine Einheit und wir als Behandlungsteam stehen unterstützend zur Seite. Es ist ganz wichtig, dass Eltern nicht denken, wenn sie das Krankenhaus betreten, geben sie ihre Verantwortung ab. Wir arbeiten alle gemeinsam, nur dann kann es gelingen“, sagt Regner.

Danach gefragt, ob sie einen Wunsch hätten für ihre Arbeit, lachen beide und sagen: „Ja klar.“ Was wäre das? „Ein Elternaufenthaltsraum. Ein Zimmer, in dem wir in Ruhe Gespräche führen können, in den Eltern sich zurückziehen können, neue Kraft tanken dürfen oder sich auch untereinander austauschen können“, führt Regner aus, und Pönicke ergänzt: „Auch die Eltern brauchen mal eine Pause.“

Vielleicht macht ja eine neue Spendenaktion diesen Ort der Besinnung möglich?

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