Ein ganz genauer Blick auf die Babyhüfte

Von Susan Künzel
Babyhüfte

Etwa drei von hundert Babys kommen mit einer Fehlstellung der Hüfte zur Welt. „Wird diese Hüftdysplasie rechtzeitig erkannt, können spätere schmerzhafte Erkrankungen vermieden werden. Deshalb wird bei der U3 die Hüfte per Ultraschall untersucht“, sagt Dr. Harry Sirb, Chefarzt für Kinder- und Jugendmedizin am DRK Klinikum Lichtenstein.

Herr Dr. Sirb, was ist eine Hüftdysplasie?
Das Wort Dysplasie kommt aus dem Griechischen und bedeutet eine Fehlbildung oder Fehlanlage. Bei einer Hüftdysplasie zeigt das Hüftgelenk eine angeborene Fehlstellung oder eine Entwicklungsstörung, dann ist es noch nicht genug ausgebildet.

Was genau ist da nicht richtig angelegt oder ausgebildet?
Das Hüftgelenk ist ein Kugelgelenk mit einem Gelenkkopf und einer Gelenkpfanne. Dabei umschließt die Pfanne weitgehend den Kopf. Bei einer Hüftdysplasie liegt eine unzureichende Überdachung des Hüftkopfes vor, dadurch kann dieser leicht herausrutschen. Wenn dann der Hüftkopf aus der Pfanne gleitet, sprechen wir von Hüftluxation.

Woran erkennt man diese Hüftprobleme?
Eine Hüftdysplasie merkt man dem Säugling zunächst nicht an. Wenn der Gelenkkopf nicht ausgerenkt ist, hat er dabei keine Schmerzen. Nur bei einer höhergradigen Fehlentwicklung können sich Probleme beim Strampeln und auch Bewegungsunlust zeigen. Der Arzt schaut bereits bei den ersten Untersuchungen, der U1 und U2, auch auf Asymmetrien: ob die Falten unterhalb der Pobacken hin zu den Oberschenkeln ungleichmäßig sind, ob die Analfalte und speziell bei Mädchen die Schamfalte zu einer Seite zieht oder ob bei gebeugten Knien diese unterschiedlich hoch sind. Allerdings deutet eine solche Asymmetrie meist auf eine Luxation, also einen ausgerenkten Gelenkkopf hin. Um auch die Vorstufe – die Dysplasie – sicher zu erkennen, sollte das Hüftscreening durchgeführt werden.

Das Hüftscreening ist die Ultraschalluntersuchung zur U3 – was genau wird da geprüft?
In der vierten oder fünften Lebenswoche wird mittels Sonographie geschaut, wie die Gelenkpfanne ausgebildet ist, ob der Gelenkkopf in der Pfanne zentriert oder herausgerutscht ist. Auch wenn es keine Seitenungleichheit der Pofalten oder Kniehöhen gibt, heißt es nicht zwangsläufig, dass keine Dysplasie vorliegt. Denn in 40 Prozent der Fälle tritt diese beidseitig auf. Die Sonographie zur U3 gibt da Sicherheit. Sie ist schmerzlos, ohne Strahlenbelastung und gehört heutzutage zur Standarduntersuchung.

Wie erfolgt die Therapie, wenn eine Hüftdysplasie oder -luxation festgestellt wird?
Die Behandlung richtet sich nach der Ausprägung. Mehr als 90 Prozent der Fälle können mit einer konservativen Behandlung therapiert werden, wenn man es rechtzeitig erkennt. Da gibt es Schienen oder Bandagen, die das Baby in einer Sitz-Hock-Stellung fixieren. Das können zum Beispiel verstellbare Metallschienen oder Schalen unter den Oberschenkeln sein, die mit einem Schultergurt verbunden sind. Mit gebeugten und abgespreizten Beinen ist der Hüftkopf optimal in der Pfanne zentriert und es gibt einen positiven Wachstumsreiz.

Meist kann in wenigen Wochen eine Heilung erzielt werden. Bei stärkerer Dysplasie oder bei bereits verrutschtem Hüftkopf wird dieser unter Narkose reponiert, also an seine richtige Stelle gebracht. Damit er dort bleibt, muss für etwa drei Monate ein Spreizgips angelegt werden. In seltenen Fällen, oder wenn nicht rechtzeitig behandelt wurde, können operative Eingriffe an den knöchernen Strukturen notwendig sein.

Bereiten diese Maßnahmen wie Bandage, Hüftschiene oder Spreizgips dem Baby Schmerzen?
Die Kinder tolerieren das gut, sie haben dadurch keine Schmerzen. Natürlich ist das Baby in seiner Bewegung eingeschränkt, aber es kennt es nicht anders. Darum sollten verordnete Orthesen ohne Pause getragen und nur kurz zum Windeln entfernt werden. Erst wenn dem Kind bei Tragepausen die sonstige Einschränkung bewusst wird, wird es vermutlich protestieren.

Apropos Windeln – wie geht das bei eingegipster Hüfte?
Die Anal- und Genitalregion bleibt offen, da kommt man zum Säubern gut ran. Die Eltern haben natürlich mehr Aufwand mit der Pflege und müssen beim Heben und Hinlegen aufpassen. Aber das ist das kleinere Übel, die Eltern wissen, wofür sie das machen – für das ganze Leben.

Was wäre das größere Übel? Welche Probleme kann es geben, wenn die Hüftdysplasie nicht rechtzeitig behandelt wird?
Man verliert wertvolle Zeit. Beim Baby sind die Gelenke noch Knorpel, die Verknöcherung erfolgt erst zwischen dem dritten und neunten Monat. Dafür aber müssen Hüftkopf und Hüftpfanne richtig zueinander stehen. Erfolgt die Verknöcherung in der Fehlstellung, funktioniert die Hüfte nicht gut. Das kann bleibende Schäden am Hüftgelenk hinterlassen, die Betroffenen hinken oder haben einen Watschelgang. Das Gelenk wird stärker abgenutzt und verursacht bereits im jungen Erwachsenenalter Schmerzen, die die Lebensqualität und vielleicht auch die Berufswahl einschränken. Später kann eine Hüftarthrose folgen. Beim jetzigen Lebensstandard werden die heute Geborenen wohl 90 Jahre alt, das Gelenk sollte dafür gerüstet sein.

Wie kann es überhaupt zu einer Hüftdysplasie kommen?
Wir stellen familiäre Häufungen fest, sodass wir davon ausgehen können, dass genetische Faktoren der Entstehung einer Hüftdysplasie zugrunde liegen und somit erblich sind. Es gibt auch regionale Häufungen wie zum Beispiel im Erzgebirge, umgangssprachlich als „Luxationsnest“ bezeichnet. Die Ursache dafür ist vermutlich in früheren Zeiten zu suchen, als eine Durchmischung der Menschen weniger gegeben war. Abgesehen davon spielt die Lage des Fötus im Bauch der Mutter eine Rolle. Eine Beckenendlage erhöht das Risiko, dass sich die Hüftpfanne nicht richtig ausformen kann. Ebenso der Platzmangel bei Mehrlingsschwangerschaften oder sehr schweren Kindern. Auch können die mütterlichen Hormone die Reifung der Hüfte stören.

Kann die werdende Mutter etwas dagegen tun oder vorsorgen?
Ein Vermeiden oder Vorbeugen ist nicht möglich. Die Schwangere sollte sich allgemein an die Grundzüge gesunden Lebens halten, vitaminreich ernähren, zusätzlich Eisen zu sich nehmen, genug trinken. Und dann mit ihrem Baby die Sonographie zur U3 wahrnehmen.

Herzlichen Dank, Herr Dr. Sirb.

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