Demokratie in Kinderhand

Von Jana Olsen
Demokratie
Nikita und Josy sind die ersten Kinderbürgermeisterinnen Sachsens. Sie wurden 2018 in einer
Stadtratssitzung in Thalheim offiziell gewählt. Sie haben sich regelmäßig mit anderen Kindern
in einem Gremium getroffen, ihre Ideen im Stadtrat eingereicht und umgesetzt.

Demokratie kann man nicht früh genug lernen. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung unterstützt ländliche Gemeinden, die schon die Jüngsten an demokratischen Prozessen beteiligen wollen. Wir haben mit Peggy Eckert, Leiterin des Programms „Demokratie in Kinderhand“ gesprochen.

Schon das vergangene Jahr war bedingt durch die Coronapandemie eine Herausforderung für alle. Wie hat sich das auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Viele Sachen, die wir geplant hatten, mussten wir noch dreimal umplanen. Manches konnten wir gar nicht umsetzen. Das war ein Stück weit frustrierend. Aber wir haben auch viel Neues entdeckt. Wir haben es geschafft, vieles zu digitalisieren. Aber auch die Digitalisierung hat ihre Grenzen.

Inwiefern?
Unsere Hauptzielgruppe liegt im Grundschulalter, die erreicht man nur bedingt digital. Zudem arbeiten wir überwiegend mit Kommunen im ländlichen Raum zusammen. Da ist die digitale Anbindung teilweise immer noch schwierig, zum Beispiel wenn man Videokonferenzen organisieren will. Da wir häufig, bedingt durch Corona, nicht mehr vor Ort sein konnten, haben wir Videos gedreht, um unsere Programme vorzustellen. An Horte oder Schulen, mit denen wir bereits kooperieren, haben wir zum Beispiel Materialkisten verschickt und die Lehrer sowie Erzieher telefonisch gebrieft. Diese haben uns zur Auswertung wiederum Fotos von den Flipcharts der Kinder geschickt. In einer Kommune hatten wir eine digitale Kinderkonferenz geplant. Die wurde dann leider abgesagt, weil die Pädagogen vor Ort es aufgrund der vielen Einschränkungen und steigender Quarantänefälle einfach nicht mehr geschafft haben.

Die Pandemie stellt auch die Demokratie auf die Probe. Politische Fronten verhärten sich. Merken Sie das in Ihrer Arbeit?
Ja, wir hatten in letzter Zeit viele Nachfragen vor allem von Pädagogen, die mit Jugendlichen arbeiten. Da geht es darum, wie man mit Verschwörungstheorien oder Fake News umgeht. Wir vermitteln dann Experten oder geben Tipps, wie man das Thema in der Schule aufgreifen kann. Gleichzeitig beobachten wir, dass während der Pandemie politische Entscheidungsprozesse fernab der Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen stattfinden und für junge Menschen nur schwer nachvollziehbar sind. Bestehende Formen der Kinderbeteiligung sind aufgrund der besonderen Lage weitestgehend auf Eis gelegt. In vielen Städten und Gemeinden wird deutlich, wie wenig eingeübt die Praxis der Beteiligung ist. Aus unserer Sicht fehlt es an Routinen, die in Krisensituationen greifen. Dies macht junge Menschen besonders anfällig für vermeintlich einfache Lösungen und für Verschwörungstheorien.

Ihre Stiftung hat zahlreiche Ideen, wie man Kinder mehr an demokratischen Prozessen beteiligen kann. Wie sieht das konkret aus?
Wir haben schon mit einigen Gemeinden gemeinsam Projekte umgesetzt. In Thalheim wurden Ende 2018 die ersten Kinderbürgermeisterinnen gewählt. Auf ihre Initiative hin wurde zum Beispiel eine Baumpflanzaktion umgesetzt. In Moritzburg und Oppach haben wir Kinder als Dorfdetektive mit Materialien wie Fragebögen und Sofortbildkamera ausgestattet, um herauszufinden, wo der Schuh drückt. Aktuell sind wir mit vier neuen Kommunen in der Planungsphase. Wenn es schon konkrete Ideen gibt, helfen wir bei der Umsetzung, der Fortbildung der kommunalen Akteure und bei der Strukturierung der Vorhaben. Denn natürlich brauchen Kinder die Unterstützung von Erwachsenen. Wenn es noch keine konkrete Projektidee gibt, helfen wir mit Workshops, kindgerechten Fragebögen und altersgerechten Methoden, um herauszufinden, welche Wünsche es gibt, etwas zu verändern. Kinder haben oft Ideen, auf die Erwachsene gar nicht kommen.

Warum ist es wichtig, Kinder an solchen demokratischen Prozessen zu beteiligen?
Das Recht auf demokratische Mitbestimmung der Kinder ist ja zum einen in Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben. 2018 wurde die Kinder- und Jugendbeteiligung zudem in der Sächsischen Gemeindeverordnung verankert. Soweit die rechtliche Situation. Aber es bringt natürlich absoluten Mehrwert, wenn Kinder und Jugendliche früh lernen, sich eine Meinung zu bilden. Wenn sie merken, dass ihre Meinung zählt, dass andere ihnen zuhören, dann ist das gut für ihre Entwicklung, ihr Selbstwertgefühl und das Demokratieverständnis. Auch die Kommunen profitieren, weil es Fehlplanungen vermeidet, die Akzeptanz politischer Entscheidungen erhöht und den Grundstein für eine lebendige Gemeinschaft legt. Und wenn Kinder und Jugendliche selbst mit Hand anlegen dürfen, kann das beispielsweise auch Vandalismus vorbeugen. Wer selbst etwas mit aufgebaut hat, wird es nicht kaputt machen.

Welche grundlegenden Dinge gibt es zu beachten, wenn Demokratie in Kinderhand soll?
Man muss Projekte zusammen mit den Kindern und Jugendlichen entwickeln, die jungen Leute fragen, was sie wollen. Man sollte den Kindern dabei auf Augenhöhe begegnen und muss ihnen echte Entscheidungsräume geben. Auch wenn Erwachsenen das ein bisschen schwerfällt – sie müssen ein Stück weit Macht abgeben. Und man muss offen für neue Entwicklungen sein. Denn oft entwickelt sich etwas anders als geplant.

Was sind Hindernisse vor Ort?
Der Klassiker ist die Bürokratie. Sie zieht viele Projekte in die Länge, da braucht es einen langen Atem. Wenn wir den Kindern das aber transparent erklären, haben sie viel Verständnis dafür. Ein Erstklässler weiß nun mal nicht, was ein Landkreis ist. Dann muss man erklären, wie groß der ist, was für Aufgaben da alle bewältigt werden müssen und wie lang manche Entscheidungswege eben sind. Wenn Kinder das verstanden haben, bleiben sie dran. Ungemein wichtig ist auch ein gutes Netzwerk aus Schule, Hort, Vereinen und der Gemeindeverwaltung. Wir versuchen, möglichst viele Erwachsene einzubinden, damit die Arbeit auf viele Schultern verteilt wird und die Ideen nachhaltig in der Kommune verankert werden. Denn um Nachhaltigkeit geht es.

Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS)
Die gemeinnützige Stiftung setzt sich für ein gutes Aufwachsen und gute Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen ein. Deutschlandweit gibt es dreizehn Standorte. In Dresden arbeiten fünfunddreißig Mitarbeiter an unterschiedlichen Projekten. „Demokratie für Kinder“ ist Teil von „Stark im Land – Lebensräume gemeinsam gestalten“. Weitere Programme widmen sich der frühkindlichen Bildung, Integration in Schule und Kita oder der Betreuung von Jugendlichen im Freiwilligen Sozialen Jahr im Bereich Pädagogik.
dkjs.de starkimland.de

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