
Badekugeln selbst herstellen
Wenn es draußen kalt und ungemütlich ist, träume ich mich gerne weg. Ich denke dann an den letzten Sommer und das Baden im See. Ich stelle mir vor, ich sitze […]
Nach wie vor eine gängige Beschimpfung: „Ey, bist du behindert?“ Oder schlimmer noch: „Ey, du Spasti!“ Im besten Fall gedankenlos, eine verbale Rüpelei. Respektvoll keinesfalls. Wie soll man damit umgehen? Jedes Mal zu langwierigen Erklärungen ansetzen? Die bessere Strategie: einfach den Spieß umdrehen – oder?
Im Buch von Horst Klein und Monika Osberghaus wird das Behindert-Sein plötzlich irgendwie zu einer coolen Sache. Zu etwas wirklich Persönlichem und Selbstverständlichem, teilweise sogar Amüsantem. Die Grundlage des Buches sind viele Gespräche, die die beiden Autoren mit behinderten Kindern und ihren Eltern geführt haben. Ein wesentlicher Faktor: So sind es mehr Selbstbeschreibungen als Dinge, die über die Betroffenen gesagt werden. Das macht sie so unverkrampft und glaubwürdig. Dabei wird auch nichts beschönigt oder kleingeredet. Dafür aber die Perspektive gewechselt und der Blick auch auf die Normalos gewendet. Sie sind es, die hier inkludiert werden. Denn: Sind wir nicht alle ein bisschen … behindert?
Aus 25 Steckbriefen zu verschiedenen Arten von Behinderungen besteht dieses Buch. Und dabei steht jeweils nicht die Behinderung, sondern zunächst einmal das jeweilige Kind im Vordergrund. Was es gern mag und was weniger, sein Lieblingssatz, und dann erst folgt die Art der Behinderung. Und das kann – huch – auch etwas so Normales sein wie Essensnörgler, Tussi oder Angeberei.
Zu jedem Steckbrief gehört eine Randerklärung der Besonderheiten und Gimmicks, Geheimwissen zu der speziellen Art der Behinderung und Angaben zum Mitmach-Level – wie gut man mit der jeweiligen Beeinträchtigung trotzdem an den Spielen und Aktivitäten der anderen teilhaben kann.
Ein Rolli setzt beim Mitmachen schon Grenzen, das leuchtet ein. Aber Martha zum Beispiel hat ein sehr hohes Mitmach-Level. Ihre Behinderung ist Schüchternheit, und so ist ihr Lieblingssatz ein schüchternes Achselzucken und ihr Spitz- oder Schimpfname „Tomate“.
Luca-Toni hat ein genauso hohes Level, er hat einen angeborenen Herzfehler. Der Vorteil: Mit „Behi-Ausweis“ gibt es vieles günstiger. Immerhin. Man kann allem das Positive abgewinnen. So hat Lenny einen „coolen E-Rolli mit viel Tempo“. Es bleibt aber auch nicht unerwähnt, dass seine behindernde Muskelschwäche nicht weggehen, sondern eher schlimmer werden wird. Und dass Kinder mit derselben Erkrankung nicht so lässig damit umgehen wie er.
Noch mehr wichtige Fragen beantworten die Steckbriefe: Wie oft kommt das vor? Was ist einfach nur doof? Oft ist es gut zu wissen, warum etwas ist, wie es ist. Also, woher eine Eigenart oder Behinderung kommt. Oder eben wie oft etwas vorkommt. Dass etwa zwei von hundert Schulkindern stottern zum Beispiel. Auch gut zu wissen: Wie man sich verhalten soll. Einfach immer gut, Bescheid zu wissen, das macht das Miteinander in jeder Lebenslage unbefangener. Nur wer nicht fragt, wird Situationen peinlich finden.
Diese Unverkrampftheit nimmt die Scheu vor denen, die auf den ersten Blick „anders“ sind und steigert ganz nebenbei die soziale Kompetenz.
Dass Charakter- oder Persönlichkeitsschwächen wie gleichwertige Behinderungen mit einem Steckbrief bedacht werden, hat durchaus Kritik und Vorwürfe hervorgerufen, die Feststellung im Nachwort zur sechsten Auflage lautet daher: „Dieses Buch polarisiert“. Die einen wollen es zur Pflichtlektüre machen, die andern möglichst rasch vom Markt verbannen. Ein Grund mehr, sich ein eigenes Bild zu machen.
Also: „Glotz nicht so, schau rein!“
Horst Klein, Monika Osberghaus
Alle behindert!
25 spannende und bekannte Beeinträchtigungen in Wort und Bild
Verlag: Klett Kinderbuch
Alter: 5 – 7 Jahre