Immer online – macht zu viel Internet Jugendliche einsam?

Von Dirk Heinemann
Immer online
Gefangen in der bunten Bilderwelt?

Wieder acht neue Freundschaftsanfragen und dreizehnmal „Daumen hoch“: Kinder und Jugendliche ernten Anerkennung und Erfolg auf Knopfdruck – im World Wide Web. Ohne Laptop, Tablet oder Smartphone fühlen sie sich abgeschnitten von der Online-Welt. Aber bleiben echte soziale Bindungen dabei auf der Strecke?

Diese Sorge beschäftigt nicht nur viele Eltern, sondern auch Professor Dr. Manfred E. Beutel. Als Direktor der Uniklinik für Psychosomatische Medizin in Mainz hat er ein Forscherteam mit einer Analyse beauftragt. Dazu wurden in Rheinland-Pfalz 2.400 Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren befragt: nach der Häufigkeit ihrer Internetnutzung, nach dem (Un-)Gleichgewicht zwischen virtuellen und wirklichen Mensch-zu-Mensch-Beziehungen – und den Konsequenzen, die sich daraus im persönlichen, familiären und schulischen Umfeld ergeben.

MAN KANN IM NETZ KONTAKTE KNÜPFEN ODER VERMEIDEN

Die Ergebnisse übertreffen zum Teil die schlimmsten Erwartungen: „Unsichere oder gehemmte Jugendliche wenden sich eher Onlineaktivitäten zu, die weniger Kontakt und Austausch erfordern“, bilanziert Professor Beutel. 3,4 Prozent der Befragten gelingt das Andocken an die Wirklichkeit fast gar nicht mehr: Sie sind über sechs Stunden täglich online und driften in die Isolation. In diesem Ausmaß ist das exzessive Abtauchen in die Scheinwelt virtueller Realität als krankhaft süchtig einzustufen. Die Gefahr für Depressionen und einen kompletten sozialen Absturz ist in diesem Fall groß.
Weitere 13,8 Prozent der interviewten Kinder und Jugendlichen schrammen knapp an der Sucht vorbei. Auch sie surfen jeden Tag viele Stunden im Netz. Zum Glück haben sie den Draht zur Realität noch nicht vollständig verloren. Aber das Risiko steigt mit jedem Mausklick, vor allem bei Jungen. Viele von ihnen kompensieren durch ausufernde Computerspiele Probleme im Umgang mit anderen. Mädchen dagegen nutzen das Internet eher als Bindeglied zum wahren Leben. Sie recherchieren für die Schule, kommunizieren mit „echten“ Freunden oder kaufen online ein.

AUF DEN RICHTIGEN UMGANG KOMMT ES AN

Grundsätzlich ist erkennbar, dass die modernen Kommunikationsmittel für alle Heranwachsenden zur Abseitsfalle werden können. Facebook und Co, Sexportale und virtuelle Spielgemeinschaften haben das Potenzial, das eigentliche Leben im Hier und Jetzt zu verdrängen. „All diese Faktoren begünstigen letztlich die soziale Ausgrenzung“, so Professor Beutel. Aber was wären Forschungsergebnisse ohne Nutzen für den Alltag? Der Impuls aus Mainz ist eindeutig: Es geht nicht darum, sich dem Internet zu verschließen. Der Vorteil der sozialen Netzwerke liegt im Namen selbst. Wenn die neuen Möglichkeiten dazu dienen, bestehende Kontakte zu vertiefen, neue zu knüpfen und real erlebbar zu machen, läuft alles richtig. Dafür ist aber Unterstützung nötig. Professor Beutel fasst zusammen: „Eltern und Lehrer haben die Aufgabe, Jugendliche sowohl in der Entwicklung ihrer Mediennutzung zu begleiten, als auch ihren sozialen Umgang zu beachten.“
Es kommt darauf an, das Gleichgewicht zu halten: zwischen der Verlockung im Internet und der echten Zuneigung, Wertschätzung und Problembewältigung im wahren Leben. Dann werden unsere Kinder und Jugendlichen die prägende Erfahrung machen, dass das World Wide Web zwar total trendy ist, aber niemals die Wärme echter Zwischenmenschlichkeit ersetzen kann. Also „Daumen hoch“ für die Netzwerke ohne Stromanschluss.

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