Wie gesund ist Fertigessen?

Von Ida Hollerbusch
verpackte Tiefkühlpizza

„Wenn etwas eintönig schmeckt, essen wir mehr davon“

Lars Selig ist Leiter des Ernährungsteams der Universitätsklinik Leipzig. Er und sein Team kümmern sich um Menschen mit Stoffwechselerkrankungen und um Patienten, die infolge einer belastenden Therapie unter Nährstoffmangel leiden. Die Kinderstube hat mit ihm darüber gesprochen, was auf unseren Tellern liegt und welche gesunde Alternative es gibt, wenn die Zeit zum Kochen fehlt.

Herr Selig, wann haben Sie zuletzt eine Fertigpizza in den Ofen geschoben?
Letzte Woche, glaube ich.

Ist Fertigessen also gar nicht so schlimm?
Ja und nein. Ab und zu kann der Körper eine Fertigpizza gut verdauen. Dafür haben wir unseren Stoffwechsel ja. Allerdings gibt es schon die Tendenz, öfter zum Fertigprodukt zu greifen, vor allem, wenn es schnell gehen muss. Viele besitzen zudem kaum noch küchentechnische Kenntnisse, das heißt, sie wissen wenig über Kauf, Bevorratung und Verarbeitung von Lebensmitteln. Das ist vor allem für Kinder ein Problem. Werden ihnen unverarbeitete Lebensmittel nicht mehr angeboten, können sie keinen Bezug zu ihnen aufbauen. Fertiggerichte sind dagegen so stark verarbeitet, dass Kinder kaum noch einen Geschmack für einzelne Zutaten entwickeln. Und Studien zeigen, dass sie es dann auch im Erwachsenenalter nicht mehr lernen.

Das heißt, bei Ihrer Pizza der vergangenen Woche ist es schwerer, die Paprika von der Tomate zu unterscheiden als bei einer selbst gebackenen?
Genau. Wenn es früher Pizza gab, dann war das ein Event. Wir haben den Teig selbst gemacht, Wurst, Käse, Gemüse draufgelegt. Heutzutage können wir das alles durchgewürzt und verzehrfertig kaufen. Damit schmeckt man die einzelnen Lebensmittel kaum noch heraus. Wenn wir in der Klinik Kinder oder auch Erwachsene mit verbundenen Augen Lebensmittel verkosten lassen, dann haben sie Probleme, sie zu erkennen. Ganz konkret sehen wir das bei Kräutern. Viele erkennen noch Petersilie. Aber bereits Dill, Bohnenkraut oder Majoran können 80 Prozent der Patienten nicht mehr erschmecken.

Nun könnte man sagen, dass ja nicht aus jedem Kind ein Feinschmecker werden muss. Warum ist diese Entwicklung gesundheitlich bedenklich?
Nun, wir essen schon, um eine geschmackliche Sättigung zubekommen. Wenn etwas nach nichts oder sehr eintönig schmeckt, dann essen wir mehr davon. Das heißt, wir werden im geschmacklichen Sinn nicht satt. Das ist ein Grund für den Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Fertiggerichten – dazu zählen auch zuckerhaltige Getränke – und Übergewicht. Das andere Problem ist, dass in Fertiggerichten relativ viel Salz und Zusatzstoffe verarbeitet sind, die wir beim Kochen nicht oder nicht in diesem Maß verwenden würden. Das führt zu gesundheitlichen Risiken. Wenn wir zu viel Salz essen, können Bluthochdruck und Herzkrankheiten entstehen. Oder nehmen wir das Glutamat, auf das viele mit Beschwerden reagieren.

Neben Salz und dem Geschmacksverstärker Glutamat steht auch der Zucker- und Fettgehalt von Fertiggerichten in der Kritik.
Und nicht nur das. Fertigprodukte enthalten zum Beispiel häufig Maltodextrin. Das ist ein leicht auflösbares Kohlenhydrat. Man hat es früher eingesetzt, damit stark untergewichtige Patienten schnell zunehmen. Maltodextrin wird von der Lebensmittelindustrie gern verwendet, weil es geschmacksneutral ist und Aromen gut annimmt. Wenn man eine Gewürzmischung in Maltodextrin auflöst, lässt sich damit die Pizza gut gleichmäßig durchwürzen. Aber wir nehmen mehr Kalorien auf, als notwendig sind.

Wir haben über einzelne Zutaten wie Salz und Maltodextrin gesprochen. Wie sind Fertiggerichte aus ernährungsphysiologischer Sicht in der Gesamtschau zu bewerten?
Wenn wir es runterbrechen, dann besteht unser Essen aus Eiweiß, Fetten, Kohlenhydraten. Den Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zufolge brauchen wir einen großen Anteil Kohlenhydrate, möglichst aus Vollkorngetreide, Kartoffeln, Hülsenfrüchten, und kleinere Anteile Fett und Eiweiß. Dieses Verhältnis ist für unseren Körper sinnvoll. Kohlenhydrate und Fett sind Energielieferanten, und Eiweiß brauchen wir, um Muskeln aufzubauen. Bei Fertiggerichten stimmt aber das Verhältnis nicht. Es überwiegen oft Fette und schnell verwertbare Kohlenhydrate, wie sie in Weißmehlprodukten vorkommen. Und in diesem Zusammenhang ist Übergewicht nur eines der Probleme. Ein anderes ist die Mangelernährung, wenn Mineralstoffe und Vitamine fehlen.

Sie haben in der Klinik mangelernährte Patienten?
Ja.

Was sind die häufigsten Mangelerscheinungen?
Das ist unterschiedlich. Bei den Mikronährstoffen sehen wir zum Beispiel häufig Vitamin‑B12‑ und Folsäuremangel. Die Patienten haben dann ein schlechtes Hautbild, Haarausfall, schlechte Fingernägel. Langfristig gesehen können Organschäden auftreten. Vor ein paar Jahren haben wir für eine Fernsehsendung ein Experiment medizinisch begleitet. Studenten haben sich eine Woche lang ausschließlich von Fast Food ernährt. Der eine aß nur asiatisches, der andere amerikanisches und der dritte italienisches Fertigessen. Wir mussten das Experiment vorzeitig abbrechen und den Studenten, der ausschließlich asiatisch aß, sogar stationär aufnehmen, weil es ihm so schlecht ging. Auch die anderen hatten massive Probleme: Sie litten unter Verstopfung, weil die Ballaststoffe fehlten, waren leistungsschwach, das Hautbild hatte sich negativ verändert.

Sie hatten zu Beginn des Gesprächs gesagt, dass Fertiggerichte vor allem dann auf den Tisch kommen, wenn die Zeit fehlt. Manchmal ist der Alltag aber nun mal hektisch. Gibt es denn eine gesunde Alternative, wenn die Zeit zum Kochen knapp ist?
Verwenden Sie Frostgemüse. Das müssen Sie nicht schälen oder schneiden, und es ist teilweise sogar nährstoffreicher als Gemüse vom Markt, weil es frisch vom Feld schockgefroren wird und damit Nährstoffe gut erhalten bleiben. Wichtig ist aber, dass keine Zubereitung zugefügt ist und seien es nur die Butterflocken an den tiefgefrorenen Möhren. Denn damit kommt auch das Fett-, Salz- und Zuckerproblem wieder an das Gemüse.

Essen ist Gefühlssache
Was wir zu uns nehmen, hat neben dem Nährwert auch einen emotionalen Gehalt. Kinder mögen Speisen, die sie mit einem angenehmen Gefühl verbinden. Wird ein Baby zum Beispiel mit einer bestimmten Speise besonders liebevoll gefüttert, erhöht das die Chance, dass dieser Geschmack auch später zu den Favoriten gehört. Aus diesem Grund ist das gemeinsame Essen in der Familie so wichtig für die Geschmacksentwicklung. Es gibt den Kindern Nähe und Halt in einer Welt, in der vieles für sie neu ist. Die Verbindung von Essen und Emotionalität funktioniert allerdings in jede Richtung: Werden Süßigkeiten oder Fast Food immer wieder als Belohnung eingesetzt, programmiert es die Kleinen geradezu auf diese Lebensmittel.

Ähnliche Beiträge, die Sie auch interessieren könnten