Unerfüllter Kinderwunsch – eine Belastungsprobe für die Seele

Von Jana Olsen

In Deutschland kommen jährlich mehr als 20.000 Kinder infolge einer künstlichen Befruchtung zur Welt. Die Phase der Behandlung ist für betroffene Paare oft sehr belastend. Eine Studie der Uni Zürich will jetzt untersuchen, welche Auswirkungen die künstliche Befruchtung auf das spätere Familienleben hat. Die Kinderstube hat mit Psychologin und Studienleiterin Julia Jeannine Schmid gesprochen.

Sie suchen für Ihre Studie jetzt auch Teilnehmer in Deutschland. Welche Voraussetzungen sollen die Familien mitbringen?

Wir suchen vierköpfige Familien, die eins ihrer beiden Kinder mithilfe künstlicher Befruchtung und das andere Kind auf natürlichem Weg bekommen haben. Die gesamte Teilnahme findet für die Familien zu Hause statt und umfasst das Ausfüllen psychologischer Fragebögen sowie das einmalige selbstständige Sammeln von Fingernagel- und Speichelproben der ganzen Familie. Aktuell suchen wir noch etwa 50 Familien. Aber es ist gar nicht so einfach, die richtigen Konstellationen zu finden.

Ist künstliche Befruchtung immer noch ein Tabuthema?

Ja, auf jeden Fall. Das hat mich überrascht. Ich hatte bisher natürlich mehr Kontakt zu Familien aus der Schweiz als aus Deutschland. Viele Familien hatten Angst vor einer Teilnahme, weil sie Sorge haben, dass die Kinder etwas erfahren könnten, dass es in der Schule herumerzählt werden würde oder das Umfeld etwas erfahren würde. Damit habe ich nicht gerechnet, dass das heute immer noch ein Thema ist, über das nicht gesprochen wird in der Öffentlichkeit. Natürlich gehen wir mit größter Sorgfalt mit den Daten um und die Kinder erhalten keine Informationen zu ihrer Zeugung.

Man weiß aus bisherigen Studien, dass Paare psychisch stark belastet sind während der Kinderwunschbehandlung. Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Ja, auch das hat mich überrascht, dass es hier wirklich solch starke Unterschiede gibt. Wir sehen das in unserer Studie, und das zeigt sich auch in anderen Studien, dass nahezu alle Frauen stark belastet sind, einerseits durch die Unfruchtbarkeit selbst sowie durch die Behandlung.

M. Sc. Julia Jeannine Schmid, Psychologin & Doktorandin (© Universität Zürich)

Bei Männern hingegen haben wir ein viel heterogeneres Bild. Das heißt, wir haben Männer, die ebenfalls sagen, dass sie das stark belastet. Wir haben auch Männer, die sagen: das ist kein Problem für mich. Und die meisten finden sich irgendwo in der Mitte, bei einer mittleren Belastung.

Welche Faktoren belasten am meisten?

Da gibt es sehr viele Faktoren. Also einerseits die Unfruchtbarkeit selbst. Beispielsweise, wenn man sich damit auseinandersetzen muss, dass man vielleicht nie Mutter oder Vater wird, obwohl man sich das ein Leben lang so vorgestellt hat. Dann natürlich die Behandlung. Hier sind es die medizinischen Eingriffe, die die Frauen auch körperlich sehr belasten. Hinzu kommen die Hoffnung und die Enttäuschungen. Bei jedem Versuch erleben die Paare diese Hoffnung, dass sie ein Kind bekommen könnten. Und wenn es bei diesem Versuch wieder nicht klappt, dann kommt es wieder zu einer Enttäuschung. In der Schweiz ist es auch so, dass die Behandlung nicht von der Krankenkasse bezahlt wird. In Deutschland ist das anders geregelt, aber auch da entstehen Kosten. Das heißt, es kommt eine finanzielle Belastung dazu. Dann dauern die Behandlungen sehr lange. Man muss immer wieder warten, schauen, ob das geklappt hat. Das Umfeld ist ebenfalls ein Faktor. Paare empfinden es oft als unangenehm, sich mit Familien oder Freunden zu treffen, die bereits Kinder haben, da sie diese an ihren eigenen unerfüllten Kinderwunsch erinnern. Doch auf Abstand zu gehen zu Personen, die ihnen eigentlich guttun, kann wiederum eine Belastung sein.

Welchen Rat kann man geben, wie man in der Phase am besten damit umgeht?

Ich denke, es ist sehr wichtig, darüber zu sprechen, sei es mit der Familie, mit Freunden. Und wenn man denkt, dass das nicht geht, sollte man sich professionelle Hilfe suchen. Sei es ein Coaching oder eine Psychotherapie. Es gibt mittlerweile viele Fachleute, die sich auf die Begleitung von Paaren im Rahmen einer Behandlung eines unerfüllten Kinderwunsches spezialisiert haben.

Geschwisterkinder bekommen mit, wenn die Eltern Sorgen haben. Sollte man das Thema mit ihnen besprechen?

Ich denke, dass es auch hier gut ist, offen damit umzugehen. Es kommt natürlich auf das Alter des Kindes an. Ich denke, es ist wichtig, mit den Kindern zu sprechen, da sie ja merken, wenn irgendetwas nicht stimmt. Es gibt gute Bilderbücher zum Thema. Darin wird den Eltern geholfen, altersgerecht zu erklären, dass sie bei der Erfüllung des Kinderwunsches medizinische Hilfe benötigen.

Gibt es aus psychologischer Sicht etwas, das Paare tun können, damit die Behandlung erfolgreich verläuft?

Leider nicht. Man hat nicht wirklich einen Zusammenhang gefunden zwischen Stress und dem Erfolg einer Behandlung. Das hat aber auch einen Vorteil. Zu denken, ich darf jetzt ja nicht gestresst sein, sonst klappt es nicht, kann Druck auslösen. Wenn man nichts tun kann, um den Behandlungserfolg zu verbessern, reduziert dies im Gegensatz diesen Druck. Besser ist also, sich von diesem Gedanken zu distanzieren. Ob ich mir Sorgen mache oder nicht, hat keinen Einfluss darauf, ob es dann klappt oder nicht. Sich Sorgen zu machen ist völlig okay, normal und verständlich.

Wodurch entstehen Konflikte beim Paar?

Wenn Paare unterschiedlich mit dem Kinderwunsch umgehen. Wenn ein Partner sehr stark am Kinderwunsch festhält und der oder die andere schon damit abgeschlossen hat. Aus dieser Dynamik können sich Konflikte ergeben. Also, wenn man sich nicht einig ist, was das Ziel ist, und wie wichtig dieses Ziel ist. Die Beziehungsqualität ist bei Paaren mit Kinderwunsch nicht schlechter als bei anderen Paaren. Es ist eher so, dass wenn vorher schon Probleme bestehen, dass die dann noch verstärkt werden durch die Behandlung. Es gibt aber auch Paare, die berichten, dass sie durch die Behandlung stärker zusammengewachsen sind.

Was ist Ihnen als Psychologin noch wichtig?

Wirklich wichtig ist, dass die Stigmatisierung abnimmt und dass die betroffenen Paare ermutigt werden, über ihren unerfüllten Kinderwunsch und die Behandlung zu sprechen. Denn es betrifft viel mehr Menschen als man denken würde. Jede sechste Person ist weltweit von Unfruchtbarkeit betroffen, das sind also wirklich viele. Wenn wir da mehr darüber sprechen, bauen wir die Stigmatisierung ab, was schlussendlich den betroffenen Paaren zugutekommt.

Zur Teilnahme an der Studie geht es hier!

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