Orientierungslauf für Kinder – ein echtes Abenteuer

Von Claudia Hempel
Orientierungslauf

Auf historischen Pfaden Annaberg-Buchholz zu entdecken, das ist die Idee eines Orientierungslaufes für die ganze Familie. Und wie sich das für einen Orientierungslauf gehört, muss man eine bestimmte Anzahl von Posten durchlaufen, dabei ein paar Rätsel lösen und soll am Ende um einiges schlauer sein. Dabei bewegt man sich ordentlich, schärft die Sinne und hat eine Menge Spaß.

„Gib mal her! Was ist das?“, will mein Enkel wissen.
„Das ist der Stadtplan von Annaberg“, antworte ich ihm.
„Und was kann man damit machen?“
„Das ist ein Spiel. Auf dem Stadtplan stehen keine Straßennamen. Du musst dich anhand der Karte orientieren und die Dinge finden, die auf den Fotos zu sehen sind.
„Cool. Das mache ich.“
„Na ja, ich weiß nicht – ob du das schaffst?“, will ich ihn ein bisschen anstacheln.

Wir sind in Annaberg-Buchholz, ein Familienausflug: Großeltern, Eltern und Enkelkinder – 7 Jahre alt der Große, 3 der Kleine. Das Stadtspiel habe ich auf der Website der Tourismusinformation gefunden: https://www.annaberg-buchholz.de/tourismus/Orientierungslauf_ANA_kurz_web.pdf

Die Karte dazu kann man sich aufs Handy laden oder man holt sie sich in Blattgröße in der Tourismuszentrale.
26 Punkte gilt es zu entdecken: Hausnummern, Steinkreuze, Klinkermuster an Hausfassaden, Reliefs oder schwere geschmiedete Ketten. Weil wir gerade in der Nähe sind, fangen wir eher zufällig bei Punkt 1 an, danach aber geht es wild durcheinander: erst 24, danach 9 … Das ist das Schöne an diesem Stadtspiel – man kann die Punkte ablaufen, wie man möchte, die Reihenfolge ist egal.
Die Vorfreude ist groß, der Spieltrieb in uns allen geweckt. Auf geht es! Der 7-Jährige reißt das Blatt an sich.
Wir stehen direkt vor dem Seiteneingang der Sankt Annenkirche. Es geht ein paar Stufen hoch. Auf der rechten Seite soll sich der erste Punkt befinden. Allerdings wird unser Enthusiasmus gleich am Anfang auf eine harte Probe gestellt. Auf dem Blatt sind 26 Fotos mit Detailansichten. Vier Erwachsene und ein 7-Jähriger (der kleine Enkel ist mittlerweile im Buggy eingeschlafen) stehen suchend vor dem Eingang der spätgotischen Kirche mit ihrem 78,6 Meter hohen Glockenturm, die 1525 fertiggestellt wurde und in deren Inneren sich eine imposante Orgel mit 4583 Pfeifen verbirgt. Aber das alles interessiert uns gar nicht – wir starren immer wieder gebannt auf die Fotos. „Das ist echt schwer“, stöhnen die Erwachsenen. Der 7-Jährige lässt keine Müdigkeit erkennen. Unsere Blicke scannen zahlreiche Details, suchen nach Skulpturen, Kacheln, Türklinken, Mauervorsprüngen oder schmiedeeisernen Handläufen. Nach etwa zehn Minuten ein Schrei der Verzückung: „Ich habe es. Hier!“ In der Holztür ein kleines Quadrat – winzig klein. Das Detail auf dem Foto ließ vermuten, dass es viel größer ist. Auch das lernen wir – die Proportionen können verdammt verschieden sein. Was groß wirkt, ist in Wahrheit winzig oder andersherum.  Orientierungslauf macht Spaß, stellen wir fest, und der 7-Jährige ist mit Eifer dabei: „Warte, gleich gehen wir zur 12 – hier kommen noch zwei Straßen und dann geht es nach rechts. Nein, hier noch nicht – schau mal auf der anderen Seite, da geht die Straße durch. Wir suchen eine Sackgasse!“ Ich bin völlig fasziniert, wie geschickt ein Zweitklässler sich im Straßenwirrwarr ohne Namen zurechtfindet.

VOLKSSPORT IN SKANDINAVIEN

„Das ist schon eine Begabung“, sagt Hanka Straube, als ich ihr davon erzähle. Normalerweise empfiehlt man Orientierungslauf für Kinder ab 9 bis 10 Jahren. Hanka Straube ist 51 Jahre alt und betreibt in ihrer Freizeit seit 41 Jahren Orientierungslauf. Ihr Berufsleben teilt sich in die Arbeit beim Kreissportbund und auf ihren Beruf als Forstingenieurin auf. Ihr Vorbild ist Skandinavien, dort ist Orientierungslauf ein wahrer Volkssport. Umgebungskarten für Orientierungsläufe liegen dort in vielen Supermärkten aus. Die kann man sich einfach mitnehmen und in den Wäldern dann sogenannte Festposten ablaufen. Das können Holzpfähle sein oder Metallzeichen an Bäumen. Erst in den letzten Jahren hat sich Orientierungslauf auch im urbanen Raum etabliert.
Für die Deutsche Meisterschaft im Sprint-Orientierungslauf, die 2019 in Annaberg stattfand, hatte Hanka Straube die Idee für eine städtische Orientierungskarte. Beim Sprint müssen alle Teilnehmenden sämtliche Punkte so schnell wie möglich ablaufen. Nach der Meisterschaft überlegte Hanka Straube, wie man die Karte weiter nutzen könnte und bot sie dem Tourismusbüro an.
Dort fand man die Idee gut – so können seitdem Touristengruppen oder Einzelpersonen Annaberg noch einmal von einer ganz anderen Seite kennenlernen.

Mein 7-jähriger Enkel ist nach seinem ersten Orientierungslauf Feuer und Flamme – das möchte er jetzt überall machen. Vier Stunden waren wir gemeinsam unterwegs, und es war keinen Moment langweilig. Erstaunt entdecken die Eltern eine völlig neue Seite an ihrem Kind: Stadtausflüge gehörten bislang nicht zu seiner Lieblingsdisziplin. Das hat sich nun geändert.

Fünf Dinge, die Kinder beim Orientierungslauf lernen
1. Gefühl für Raum. Kinder lernen Richtungen und Entfernungen besser einzuschätzen. Sie können sich besser in der Umgebung orientieren.
2. Karten lesen. Kinder lernen, ihre Umgebung im Blick zu behalten und ständig Karte und reale Umgebung abzugleichen.
3. Eigenverantwortung. Kinder treffen Entscheidungen und lernen, für diese Entscheidung die Verantwortung zu übernehmen.
4. Umgang mit Fehlern: Läuft man in die falsche Richtung oder biegt falsch ab, kommt man nicht zum Ziel. Stellt sich eine Entscheidung als falsch heraus, müssen Kinder selbstständig nachjustieren, um den richtigen Weg zu finden.
5. Aufmerksamkeit und Konzentration: Der ständige Abgleich zwischen Karte und Umgebung erfordert ungeteilte Aufmerksamkeit. Wer den nächsten Punkt zielsicher ansteuern will, muss sich konzentrieren.

Info:
www.orientierungslauf-sachsen.de
Wer sich für Orientierungslauf interessiert, findet unter der Webadresse eine Liste sächsischer Vereine, die diese Sportart anbieten.
Eine Übersicht über alle Angebote – von Mountainbike- bis Skiorientierungslauf findet man beim Deutschen Orientierungssport-Verband e.V. (DOSV)
www.o-sport.de

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