Masern, Diphtherie und Co – was die Kinderkrankheiten noch immer so gefährlich macht
Von Beate Splett
Wenn von Kinderkrankheiten die Rede ist, denken wir oft an vermeintlich harmlose Pusteln oder ein paar Tage Fieber. Doch erst im vergangenen Jahr erkrankte ein 10-jähriger Junge an Diphtherie. Trotz monatelanger intensiver Behandlung verstarb er im Januar 2025. Er war nicht geimpft. Der Infektiologe Dr. Thomas Grünewald vom Klinikum Chemnitz erklärt, warum Impfungen bis heute Leben retten.
MASERN – KEINE HARMLOSE KINDERKRANKHEIT
„Früher sind die Kinder an den Kinderkrankheiten gestorben. Das sind Zeiten, die (in Deutschland) keiner mehr kennt, und das ist auch gut so. Vor ein paar Jahren sind im Kongo bei einer Masernepidemie 2.000 Kinder gestorben. Wir sehen hier nur Einzelfälle, und so soll es auch bleiben, am besten gar keine mehr,“ sagt Dr. Thomas Grünewald, Vorsitzender des Beirats Sächsische Impfkommission. „Masern gehören mit zu den ansteckendsten Krankheiten, die wir kennen. Deswegen explodiert auch die Zahl der Infektionen in den USA gerade so, weil sich die Masern extrem gut verbreiten“, erklärt der Infektiologe. Auslöser für eine Maserninfektion sind Masernviren. Sie werden beim Husten, Niesen oder Sprechen über Tröpfchen und Aerosole übertragen.
2024 wurden bundesweit 645 Masernfälle gemeldet, die meisten davon bei Kindern unter vier Jahren1. Typischstes Symptom der Erkrankung ist der markante Hautausschlag, der am Anfang im Gesicht, später am ganzen Körper auftritt. Darüber hinaus kann es zu schweren Komplikationen wie Lungenentzündung, Mittelohrentzündung bis hin zu Gehirnentzündung kommen. Besonders gefährdet sind Kleinkinder, aber auch Erwachsene ab dem 20. Lebensjahr. Jeder, der nicht gegen Masern geimpft oder durch eine überstandene Masernerkrankung immun ist, kann sich mit den Viren infizieren. Säuglinge und Ungeimpfte sind deshalb darauf angewiesen, dass ihr Umfeld geimpft ist. Auch ein hoher Impfschutz in der Bevölkerung kann Ansteckungen verhindern. 1Quelle: Robert Koch-Institut, 15.01.2025
Eine Diphtherie wird durch das Gift von Bakterien verursacht. Sie ist potenziell lebensbedrohlich. Es wird zwischen zwei verschiedenen Typen unterschieden, der Rachen- und der Hautdiphtherie. Bei der Rachendiphtherie liegt die Sterblichkeit bei fünf bis zehn Prozent der Erkrankten, bei Kindern und Erwachsenen über 40 Jahren sogar noch höher. Gegen die Bakterien helfen Antibiotika. Verbreiten sich die Giftstoffe im Blut, können weitere Organe hochgradig geschädigt werden. Daher konnte selbst die lange Intensivbehandlung den Brandenburger Jungen nicht retten. „Das ist wirklich keine Kleinigkeit. Mit einer einfachen Impfung retten wir Leben“, mahnt Dr. Thomas Grünewald.
Dass immer weniger Kinder ausreichend durch Impfungen geschützt sind, beobachtet der Infektiologe mit Sorge. „Das ist durch die Pandemie erheblich verstärkt worden. Aber wir sehen schon seit 10, 15 Jahren, dass die Impfraten nachlassen. Eine Rolle spielt die Tatsache, dass die Impfungen so gut sind, dass wir die Krankheiten nicht mehr sehen. Gibt es keine Krankheiten, dann brauche ich scheinbar auch keine Impfungen mehr.“ Das Problem: Sind zu wenige Menschen geimpft, können sich die Krankheiten wieder ausbreiten.
KEUCHHUSTEN (PERTUSSIS)
„Pertussis ist in den ersten drei bis neun Lebensmonaten besonders gefährlich, da kann die Krankheit tödlich sein. Es kann dann zu Atemstillständen kommen, das sind schreckliche Erlebnisse für die Eltern“, erläutert der Impfexperte. Keuchhusten wird durch Bakterien verursacht, die sich durch Tröpfchen übertragen. Er gilt als hochansteckend. 2024 hat die Zahl der Keuchhustenfälle mit bundesweit über 22.000 Fällen einen Höchststand erreicht. Besonders häufig betroffen sind Kinder und Jugendliche. Früher hat die Pertussisimpfung nicht selten zu Fieberkrämpfen geführt. Doch inzwischen gibt es neue, verträglichere Impfstoffe. Leider sind sie nicht so effektiv wie etwa die Masernimpfung. „Deshalb ist es wichtig, dass die Mutter in der Schwangerschaft gegen Keuchhusten geimpft wird“, so die Empfehlung des Infektiologen. Das gilt auch für das soziale Umfeld wie Vater und Verwandte, auch hier sollte die Impfung aufgefrischt werden. „Das Kind hat dann einen sicheren Schutz, bis es selbst geimpft werden kann und grundimmunisiert ist.“
Warum werden immer weniger Kinder geimpft? „Es gibt zwei Dinge, die problematisch sind. Erstens: Der Impftermin wird einfach vergessen. Wir sehen das bei der Polioimpfung. Die Kinder werden nach und nach alle geimpft, aber verzögert, weil der zweite, dritte Impftermin einfach untergeht. Doch Kinder brauchen mehrere Impfungen, die sogenannte Grundimmunisierung, damit sie einen sicheren Schutz haben“, erklärt Dr. Grünewald. „Zweitens spielen die sozialen Medien eine Rolle. Da gibt es viel Hilfreiches, aber es wird auch viel Unsinn verbreitet. Das führt nicht zu einer Impfverweigerung, aber zu einer Verunsicherung.“ Der Experte plädiert für mehr Aufklärung, aber auch mehr Verständnis: „Wir müssen empathischer mit den Menschen umgehen, die Angst haben. Das ist zeitlich aufwändiger, aber die Zeit muss man sich nehmen. Das ist ein Punkt, wo wir deutlich mehr Aufwand betreiben müssen.“
IMPFEN SCHÜTZT
Viele Impfstoffe sind seit Jahrzehnten erforscht und gelten heute als bekannt und sicher. „Es gibt eine Datenanalyse der WHO, dass nur durch Impfstoffe über 100 Millionen Menschenleben gerettet worden sind. Sie gehören zu den effektivsten Maßnahmen, die wir überhaupt in der Medizin haben“, sagt der Impfexperte. Auch wenn es zu Nebenwirkungen kommen kann, ist man heute gut darauf vorbereitet: „Über die Jahrzehnte sind viele Menschen geimpft worden, sodass wir wirklich wissen, wo es Probleme geben kann. Durch riesige Datenanalysen sind wir heute in der Lage zu sehen, wo es vermehrt zu Nebenwirkungen kommt. Das ist das Wichtige. Wir wissen auch, dass Nebenwirkungen in den ersten zwei bis vier, manchmal bis sechs Wochen auftreten. Danach passiert nichts mehr. Nebenwirkungen treten nicht nach einem halben Jahr auf einmal auf.“
Der Schutz vor Infektionskrankheiten und damit verbundenen Komplikationen ist dem Mediziner eine Herzensangelegenheit: „Wer Kinder hat, der hat eine große Verantwortung. Dessen sollte man sich bewusst sein und wirklich im Sinne des Kindes handeln, also vielleicht die eigenen Ängste ein bisschen zurückstellen. Wir sind geimpft worden, als die Impfstoffe zum Teil noch relativ neu waren, und wir sehen, wie segensreich sie waren und immer noch sind. Ich glaube, das ist wirklich etwas, was man gar nicht oft genug sagen kann.“
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