Bewegung ist mehr als bloße Fortbewegung, sie ist ein Grundphänomen menschlichen Lebens. Das beginnt schon im Mutterleib. In der Welt angekommen, werden Kinder von einem unbändigen Bewegungsdrang angetrieben, die Welt zu erleben, zu erfahren und zu erkennen.
NATÜRLICHER BEWEGUNGSDRANG DER KINDER
Kinder bringen reichlich Energie mit auf die Welt – schon in Mamas Bauch wird gestrampelt; sind sie erst größer, balancieren sie auf Mauerkanten, rutschen Hügel hinunter, schaukeln an Ästen und ständig rennen sie, wo Erwachsene gemächlich gehen … Kinder bewegen sich etwa dreimal so viel wie Erwachsene, wenn man sie nur lässt. Für Kinder ist dieser Bewegungsdrang elementar – so erfahren sie alles über Dinge, Menschen, Umwelt und über sich selbst. Über die Bewegung erlebt das Kind seine Fortschritte und seine Grenzen, sein Größer- und Selbstständigwerden. Entsprechend bewegen sich Kinder oft ungehemmter und unkontrollierter, eben elementarer als Erwachsene.
Schränkt man dieses natürliche Bewegungsbedürfnis der Kinder ein (weil man von ihnen ständig verlangt, stillzusitzen oder sie durch Medienkonsum ruhigstellt) wird der Weg bereitet zu rückenwehgeplagten Jugendlichen, die Koordinationsprobleme haben und schnell ermüden. Die Folgen können Bewegungsängstlichkeit und Unbeweglichkeit auf körperlicher, geistiger und sozialer Ebene sein oder gar in aggressives Verhalten münden.
BEWEGUNG, ENTWICKLUNG UND BILDUNG HÄNGEN ENG ZUSAMMEN
Bewegung ist wichtig für die körperliche Entwicklung Gerade in den ersten Lebensjahren ist Bewegung für eine gesunde körperliche Entwicklung unerlässlich. Und der kindliche Bewegungsdrang eröffnet viele Möglichkeiten – vom Hüpfen über Gehwegplatten oder auf dem Sofa bis zum Spurt zur nächsten Kreuzung. So werden die Muskeln trainiert, die Knochenstruktur gefestigt, Gleichgewicht, Haltung und motorische Fähigkeiten trainiert, ebenso das Herz-Kreislauf-System.
Bewegung ist wichtig für die kognitive Entwicklung Kleine Kinder berühren und bewegen Dinge, um deren Eigenschaften und Zweck zu erkunden. Ganz intuitiv wollen sie greifen, um zu begreifen, sie wollen Dinge anfassen, um sie zu erfassen. Sie tun es immer wieder und speichern so die Bewegungserfahrung ab. Sie lernen Höhe, Weite und Geschwindigkeit kennen, indem sie den Schnuller aus dem Kinderwagen werfen – und sie wiederholen es, um die neue Entdeckung zu überprüfen. Mit genügend Wiederholungen lernen sie den Zusammenhang von Ursache und Wirkung und festigen diese kognitiven Verknüpfungen. Ältere Kinder können später allein durch Erklären oder Zeigen Dinge verstehen. Doch sind in jedem Alter wiederholtes Ausprobieren, Gesten oder rhythmische Bewegungen für das Verstehen und Merken hilfreich. Das neue Wissen wird motorisch und kognitiv gespeichert und ist so über zwei Ebenen abrufbar. Außerdem baut Bewegung Anspannung ab und erhöht die Konzentrationsfähigkeit.
Bewegung ist wichtig für die psychosoziale Entwicklung Sei es bei Wettkämpfen oder gemeinsamem Ballspielen, bei allem lernen Kinder auch miteinander zu kommunizieren und zu kooperieren, auch sich durchzusetzen oder nachzugeben. Und will man mit dem Seil überm Teich ins Wasser springen oder hoch hinaus im Baum klettern, muss man sich selbst überwinden, sich Ängsten stellen, Mut aufbringen. Vielleicht gelingt es erst beim elften Versuch, dann aber stärkt es Selbstsicherheit und Selbstvertrauen. Und die Misserfolge auszuhalten fördert die Frustrationstoleranz.
Bewegung ist wichtig für die emotionale Entwicklung Kinder reagieren auf Eindrücke mit dem ganzen Körper und drücken ihre Gefühle in Bewegung aus. Ist ihnen alles zu viel, zeigen sie dies mit Abwehr und körperlichem Unwohlsein. Spaß und Freude dagegen zeigen sie beispielsweise mit Hüpfen, Rennen, Tanzen oder Umarmungen. Anhand ihrer Bewegungserfolge nehmen sie ihren eigenen Fortschritt wahr und erfahren Stolz, Motivation und Entspannung. So reifen parallel die emotionalen Erfahrungs- und Ausdrucksmöglichkeiten.
Bewegung ist wichtig für die Entwicklung der Kommunikation und Sprache Für Säuglinge ist die Bewegung in Form von Mimik und Gestik neben dem Schreien die einzige Möglichkeit, sich auszudrücken oder etwas einzufordern. Bewegungserfahrung ist ferner eine Voraussetzung für den Spracherwerb, insbesondere die Feinmotorik der Hände und Finger. Tauchen Sprachstörungen auf, liegt meist eine gestörte Grob- oder Feinmotorik zugrunde, die wiederum oft auf unterdrücktem Bewegungsdrang basiert. Ein ideales Bindeglied zwischen Bewegung und Sprache ist Musik. Kinder bewegen sich intuitiv zur Musik, schwingen, klatschen, stampfen, hüpfen, tanzen und singen schließlich mit. Reim- und Liedtexte lassen sich so leichter lernen.
Der renommierte Sportanthropologe Ommo Grupe charakterisierte die Bedeutung der Bewegung für das Werden eines Menschen folgendermaßen: „Bewegung ist eine Art ‚Doppel-Medium‘, sie ist ein ‚Organ‘ der Erfahrung und ein ‚Instrument‘ der Gestaltung in einem; das heißt, sie ‚vermittelt‘ uns an unsere Mit- und Umwelt und diese umgekehrt an uns.“ Knapper noch lässt sich diese Bedeutung mit den Worten des Aufklärers Jean-Jacques Rousseau zusammenfassen: „Vor allem wegen der Seele ist es nötig, den Körper zu üben.“
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