Viel online macht noch keine digitale Kompetenz
Auf der Straße, im Bus, in der Bahn, und natürlich zu Hause: überall sieht man Kinder und Jugendliche übers Handy gebeugt, offenbar ganz weit weg. Die kleinen Geräte sind – […]
Mein Enkel Emil ist zwölf Jahre alt und geht nun in die sechste Klasse. Seit Kurzem hat er ein Handy. Lange hatten seine Eltern überlegt, wann der richtige Zeitpunkt dafür sei. Und beschlossen: Nun ist es so weit. Denn Emil wird selbstständiger. So kann er sich melden und ist auch zu erreichen, zum Beispiel wenn er später nach Hause kommt, weil er einen Freund besucht. Das gibt beiden Seiten Sicherheit.
Aber die Handynutzung hat auch Nachteile, sogar Suchtpotenzial, das belegen Studien immer wieder.
Und: Was soll mit dem Handy in der Schule passieren?
Das interessiert mich – und ich beginne zu recherchieren.
Fast 40 Stunden pro Woche verbringen die 10- bis 17-Jährigen in Deutschland am Handy. Jeder Vierte von ihnen benutzt das Gerät riskant oft – es besteht Suchtgefahr. Wie wirkt sich das auf den Schulerfolg aus?
Untersuchungen zu diesem Thema sind rar.
In einer bereits 2016 veröffentlichten Studie aus England wurde festgestellt, dass sich an weiterführenden Schulen, die ein Handyverbot einführten, die Testergebnisse deutlich verbesserten, besonders bei leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern.
Der Effekt bei diesen Jugendlichen entsprach etwa einer zusätzlichen Unterrichtsstunde pro Schulwoche. Die Wissenschaftler führen den Erfolg des Handyverbots bei dieser Schülergruppe darauf zurück, dass es den leistungsstärkeren Mitschülerinnen und Mitschülern von Haus aus leichter gefallen sei, Ablenkungen auszublenden und sich auf das Lernen zu konzentrieren. Das Handyverbot komme daher den Leistungsschwächeren besonders zugute.
Die Pisa-Studie fragte 2022 auch nach der Handynutzung. So konnte für Deutschland repräsentativ untersucht werden, inwieweit das Smartphone in der Schule eine Rolle spielt. Es stellte sich heraus, dass 40 Prozent ihr Handy nicht zum Zeitvertreib nutzen, die anderen Kinder und Jugendlichen allerdings in einer Spanne von bis zu einer Stunde (35 Prozent) bis hin zu sogar mehr als zwei Stunden (14 Prozent).
Jedes dritte Kind wird nervös, wenn das Gerät nicht abrufbar in der Nähe ist. Jedes vierte verspürt den Druck, eingegangene Nachrichten sofort zu beantworten. Und mehr als 25 Prozent der Schülerinnen und Schüler sind abgelenkt, wenn andere ihr Handy nutzen.
Das ist besorgniserregend, weil sich herausgestellt hat, dass Schüler, die Benachrichtigungen im Unterricht konsequent abschalten, beim Pisa-Test signifikant besser abschneiden.
Andersherum ist das Ergebnis noch erschreckender: Diejenigen, die in der Schule fünf Stunden oder mehr ihr Handy anschalten und auch nutzen, haben einen Lernrückstand von etwa zwei Jahren gegenüber denjenigen, die weniger als eine Stunde ihrer Schulzeit am Handy sind.
Ein generelles Handy-Verbot in der Schule gibt es in keinem Bundesland.
Auch das sächsische Schulgesetz sieht keine Regelungen für Mobiltelefone in der Schule vor. Der Landesschülerrat wehrt sich gegen ein generelles Verbot, ein Handy dabei zu haben:
„Wir müssen akzeptieren, dass Handys zur Lebensrealität gehören. Diese Realität muss auch Teil der Schule sein “, sagt Felix Schönherr, Sprecher des Rates. Überdies, so argumentieren Juristen, würde solch ein Verbot zu stark in die Persönlichkeits- und Eigentumsrechte des Einzelnen eingreifen.
Aus der Landesregierung kommt die Empfehlung, dass die jeweiligen Schulkonferenzen klare Regeln festlegen sollten.
„Die Schulkonferenz sollte gemeinsam die pädagogischen Aspekte der Nutzung sowie den räumlichen und zeitlichen Verzicht auf Handys klar bestimmen. Im Essensraum und in der Frühstückspause etwa sollten sie in der Tasche bleiben. Im Unterricht könnte beispielsweise das Benutzen der Smartphones durch die Lehrkraft für bestimmte Zwecke freigegeben werden, während sie in der Regel tabu sind“, empfiehlt Kultusminister Christian Piwarz.
In Annaberg-Buchholz hat die Oberschule Adam Ries das Projekt „Handyfreie Schule” eingeführt. Schulleitung und Lehrer, Schüler und Eltern wollen den schulischen Alltag von der Ablenkung durch Smartphones befreien. „Sei kein Spielverderber und mach mit! Du kannst dabei nur gewinnen!”, so lautet die motivierende Botschaft des Projekts. Das soll nicht nur die Konzentration und Leistung in der Schule steigern, sondern auch das soziale Miteinander fördern.
Die Regeln lauten: Handys müssen während der Schulzeit ausgeschaltet und verstaut bleiben. Verstöße haben Konsequenzen: vom vorübergehenden Wegnehmen des Handys bis hin zu strengeren Maßnahmen. Das sorgt für Transparenz und Verständnis bei den Beteiligten. Statt Digitalkonsum bestimmen nun Schach, Tischkicker und Tischtennisplatten das Pausengeschehen. Klassen, die nicht gegen die Regeln verstoßen, bekommen sogar ein gemeinsames Pizzaessen spendiert.
Und wie sieht es an Emils Schule, einem Gymnasium in Leipzig, aus? An seiner Schule ist die Nutzung von Handys ebenfalls verboten, auch in der Pause. Man darf es mitbringen, aber wer es in der Schule anschaltet, dem wird es weggenommen. Emil findet das gut: „Das nervt doch, wenn alle in der Stunde am Handy rumdaddeln würden. Und in der Hofpause gäbe es kein Ende und keiner käme mehr zum Unterricht hoch. So ist es besser!“
Handynutzung an Schulen in anderen Ländern
Frankreich: seit 2018 Handyverbot auch in den Pausen
Niederlande: Handyverbot ab 2024
Italien: Handynutzung im Unterricht verboten
Großbritannien: Empfehlungen für Handyverbote, die jede Schule für sich umsetzen soll