Der lange Schatten von Corona

Von Beate Splett
Konzept der psychischen Gesundheit und Angst aufgrund von Covid-19

Mehr als fünf Jahre nach den ersten Coronafällen in Deutschland haben sich viele Betroffene noch nicht wieder vollständig von der Infektion erholt. Das gilt auch für Kinder und Jugendliche. Um die Versorgung und Erforschung der Corona-Folgen bei jungen Patientinnen und Patienten zu verbessern, wird seit Dezember 2024 das pädiatrische Netzwerk PEDNET-LC durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gefördert.

LONG COVID – JE JÜNGER, UMSO SELTENER?

Kinderärzte haben es bei der Diagnostik mit ihren kleinen Patienten nicht immer leicht. Diffuse Beschwerden wie Erschöpfung und Konzentrationsstörungen, wie sie häufig bei Long-COVID auftreten, können Kinder und Jugendliche zum Teil kaum in Worte fassen. Umso mehr sind Eltern und Kinderärzte gefragt, Alarmsignale als solche zu erkennen.
Auch wenn die Symptome bei Kindern und Jugendlichen denen von Erwachsenen ähnlich sind, scheint es Unterschiede in der Häufigkeit der Erkrankung zu geben: „Insgesamt ist die Datenlage in der Kinderheilkunde schlechter, sodass man es nicht mit Sicherheit sagen kann. Aber aufgrund der Daten, die wir kennen, gehen wir davon aus, dass die Häufigkeit etwas geringer ist als bei Erwachsenen“, sagt Privatdozentin Nicole Töpfner, Oberärztin für Kinder und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Dresden und stellvertretende Gesamtprojektleiterin der Modellmaßnahme PEDNET-LC. „Es ist davon auszugehen, dass es nicht alle Altersklassen gleichermaßen betrifft. Es sind vor allem Jugendliche und junge Erwachsene betroffen und weniger die jüngeren Kinder“, so die Expertin.
Die Diagnose Long- oder Post-COVID fasst unterschiedlichste Symptome zusammen, die im zeitlichen Zusammenhang nach einer Coronainfektion aufgetreten sind und alle Organsysteme betreffen können. Bei Jugendlichen ist es sehr wahrscheinlich, dass es keine größeren Unterschiede zu den Symptomen bei Erwachsenen gibt. Je jünger die Kinder jedoch sind, umso unspezifischer sind eventuelle Hinweise auf solche Beschwerden. Anhaltende Erschöpfung trotz unverhältnismäßig langer Schlafzeiten, extreme Erschöpfung, Schmerzen und Konzentrationsstörungen, insbesondere nach Belastung, ein deutlicher Abfall der Schulleistungen ohne erkennbaren anderen Grund – all das können Warnhinweise sein. „Inzwischen ist der Zusammenhang mit einer Coronainfektion oft nicht mehr sicher erinnerlich. Daher spricht man allgemein nun häufiger von Post-Infektionssyndromen (PAIS)“, sagt PD Dr. Nicole Töpfner. Um diese und ähnliche Krankheitsbilder bei Kindern und Jugendlichen besser zu verstehen, wurde PEDNET-LC ins Leben gerufen.

SELTENE ERKRANKUNG ME/CFS

ME (Myalgische Encephalomyelitis) oder auch CFS (Chronisches Fatigue-Syndrom) ist eine schwere, aber seltene Erkrankung, die sich als Folge einer Coronainfektion (seltener auch aufgrund anderer Ursachen) entwickeln kann. Typisch sind eine allgemeine Schwäche und anhaltende Erschöpfung selbst bei geringster Belastung. Weitere Diagnosekriterien sind Schlafstörungen, Schmerzen, Kreislaufsymptome sowie Konzentrations- beziehungsweise Gedächtnisstörungen. Insbesondere nach zu starker körperlicher oder geistiger Anstrengung kann es dazu kommen, dass Kinder und Jugendliche danach tagelang im Bett liegen und nicht mehr aufstehen können. „Die Patienten beschreiben das oft als ‚Crash‘, der häufig mit ‚Brain Fog‘, also ‚Nebel im Kopf‘ einhergeht. Kinder und Jugendliche, die noch nie etwas von diesem Krankheitsbild gehört haben, können diese Symptome aber deutlich schlechter zuordnen. Sie fühlen sich erschöpft, krank, sind gegebenenfalls sehr reizempfindlich und wissen gar nicht so genau, was mit ihnen los ist. Sie wundern sich nur, dass es so lange nicht besser wird“, erklärt Dr. Töpfner die besonderen Herausforderungen, dieses Krankheitsbild zu erkennen. Ein wichtiger Anhaltspunkt für das Ausmaß der Erschöpfung ist, ob die Kinder und Jugendlichen in der Lage sind, zur Schule zu gehen. Auch überdurchschnittlich lange Fehlzeiten geben wichtige Hinweise für Lehrer, Sozialarbeiter, Familien und Ärzte. „Wenn die Erschöpfbarkeit und Ermüdung so groß sind, dass die Schulteilnahme und auch die schulischen Leistungen maßgeblich beeinträchtigt werden, sind das Warnsignale, die zeitnah erkannt werden müssen, um dem Kind zu helfen und Verschlechterungen zu vermeiden“, sagt Dr. Töpfner.

WO BEKOMMEN FAMILIEN HILFE?

Erster Ansprechpartner sollte der Kinderarzt oder die Kinderärztin sein. Bei Verdacht auf Long-COVID oder eine ähnliche Erkrankung können die Kinderärzte junge Patienten aus Sachsen an die spezialisierte Hochschulambulanz der Universitätskinderklinik Dresden überweisen. Hier werden mithilfe von Fragebögen und verschiedenen Tests ausführliche Untersuchungen gemacht. Dabei geht es zunächst darum, andere mögliche Erkrankungen auszuschließen und die Diagnose zu stellen. Steht die Diagnose fest, wird die Versorgung gemeinsam mit den Kinderärzten und zum Teil auch Sozialpädiatrischen Zentren geplant. Es gibt Schulungen für die betroffenen Kinder und auch Familienschulungen zum Krankheitsbild. Manche Kinder und Jugendliche profitieren auch von einer extra auf das Krankheitsbild abgestimmten Rehabilitation oder Schmerztherapie. Daneben hilft vielen Familien der Austausch mit anderen in Selbsthilfegruppen und Elterninitiativen. Sehr wichtig ist, dass betroffene Kinder und Jugendliche das Therapieprinzip des Pacings gut erlernen, das heißt, ein bewusstes Energiemanagement innerhalb der individuellen Belastungsgrenzen, die sich aus der Erkrankung ergeben.

MODELPROJEKT PEDNET-LC

Das bundesweite Projekt will die Standards der Diagnosestellung und Versorgung für alle Kinder und Jugendlichen mit Long-COVID-ähnlichen Erkrankungen in Deutschland vereinheitlichen. Es bietet den teilnehmenden Zentren die Möglichkeit, die Symptome und den Krankheitsverlauf bei Kindern und Jugendlichen ausführlicher zu erfassen als es in der Regelversorgung möglich ist, um daraus neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Die klinischen Daten der an PEDNET-LC teilnehmenden Patientinnen und Patienten werden in einem Register erfasst, um Zusammenhänge auswerten zu können. Nicht jeder Versorgungsansatz, der bei Erwachsenen entwickelt wird, hilft automatisch Kindern gleich gut. Ziel ist es deshalb, altersentsprechende Versorgungs- und Therapieansätze zu entwickeln, von denen betroffene Kinder und Jugendliche profitieren.

„Für jeden Patienten finden interdisziplinäre Fallkonferenzen statt, und zwar von Kinder- und Jugendärzten zusammen mit Kinder- und Jugendpsychologen sowie mit Sozialpädagogen und gegebenenfalls Kinder- und Jugendpsychiatern, um Differentialdiagnosen oder Begleiterkrankungen gemeinsam zu beurteilen und die Diagnose zu stellen. Es ist wichtig, den betroffenen Kindern und Jugendlichen zu helfen, entsprechend der individuellen Belastbarkeit die bestmögliche Schulteilhabe aufrechtzuerhalten oder wiederzuerlangen. Das lässt sich am besten im engen Austausch mit den Lehrkräften und Schulsozialarbeitern realisieren“, erklärt Privatdozentin Nicole Töpfner. Gemeinsam werden immer häufiger Lösungen gefunden, damit auch Kinder und Jugendliche mit dieser Erkrankung am Schulunterricht teilnehmen können oder auch Möglichkeiten geschaffen, die schulische Bildung zu den Kindern zu bringen. Gerade während der beruflichen Qualifizierungsphase ist das für die Zukunft der betroffenen Jugendlichen von hoher Bedeutung.

Long-COVID – die wichtigsten Fakten
Im Februar 2023 hat die Weltgesundheitsorganisation Long- und Post-COVID erstmals auch für Kinder und Jugendliche definiert: Als Long-COVID werden Beschwerden zusammengefasst, die noch mindestens vier Wochen nach der akuten Infektion andauern. Bestehen sie länger als zwölf Wochen, werden sie als Post-COVID-Syndrom bezeichnet. Die Symptome können neu auftreten, andauern oder wiederkehren.
Die Beschwerden sind denen von erwachsenen Patienten ähnlich: chronische Erschöpfung, Luftnot, Kopfschmerzen, Kreislaufprobleme und vieles mehr. Die Symptome haben vielfältige Ursachen und können verschiedene Organsysteme betreffen.

Wer ist besonders gefährdet?
Ähnlich wie bei Erwachsenen scheint das weibliche Geschlecht ein Risikofaktor zu sein, das heißt, Mädchen und junge Frauen erkranken etwas häufiger an Long-COVID. Weitere Faktoren können Vorerkrankungen und häufige Ansteckung mit Coronaviren sein. Auch nach schweren Krankheitsverläufen ist es wahrscheinlicher, dass Long-COVID auftritt.

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