Warum Schüler den Unterricht schwänzen
Warum und wie viele Kinder und Jugendliche die Schule meiden, konnte jahrelang nur vermutet und geschätzt werden. Doch seit 2012 gibt es erstmals Zahlen und Fakten – aus einer Studie […]
Zunge rausstrecken, kratzen, spucken, schlagen – wenn Kinder streiten, fliegen die Fetzen. Erwachsene stecken dann in einem Zwiespalt: Kinder sollen sich nicht alles gefallen lassen, aber auch nicht aggressiv werden. Wie bringt man Kindern im Vorschulalter also Streitkultur bei?
Jana Olsen sprach mit der Pädagogin und Buchautorin Ulrike Leubner.
Kinder, die niemals streiten – eine traumhafte Vorstellung für alle Erwachsenen?
Ganz und gar nicht. Kinder müssen streiten. Auch wenn das manchmal schwer auszuhalten ist. Streit ist immer eine Chance, etwas zu lernen. Kinder wollen beim Streiten ihre Kräfte messen, Anerkennung finden. Sie lernen ihren Standpunkt zu vertreten, Konflikte zu lösen. Schließlich funktioniert unsere ganze Gesellschaft nur, wenn wir uns friedlich einigen können. Kinder müssen das üben.
Und wie übt man friedlich zu streiten?
Kinder brauchen dafür natürlich Anleitung. Wichtig ist, ihnen zu vermitteln, dass sie sich gegenseitig zuhören, sich anschauen sollen, wenn sie miteinander sprechen. Hilfreich sind auch konkrete Satzvorschläge wie: „Ich höre dir zu, was möchtest du sagen?“, „Hast du eine Bitte an mich?“ oder „Habe ich dich richtig verstanden?“ Solche Sätze zu wiederholen ist wichtig, Kinder lernen anhand von Wiederholungen. Entscheidend ist auch, den Kindern gegenseitige Wertschätzung beizubringen. Dann wird Streit anders gelöst.
Wie bringt man Kindern Wertschätzung bei?
Zum einen sollten Eltern natürlich Vorbilder sein, Kinder ahmen das Verhalten der Erwachsenen viel öfter nach als wir denken. Und dann können Kinder natürlich von anderen Kindern lernen. Eine wundervolle Idee habe ich einmal in einer Grundschule beobachtet: Dort gab es jeden Tag „die freundlichen 10 Minuten“. Dabei sagten sich die Kinder gegenseitig nette Sachen, Danke für dies und das. Das ganze wurde an eine Tafel geschrieben oder gemalt. Das zu lesen und zu sehen hat mich tief berührt. „Die freundlichen 10 Minuten“ sorgen für eine Wohlfühlatmosphäre und funktionieren in ähnlicher Form sicher auch zu Hause. Mehr Achtung vor dem anderen lernen kann man auch gut durch Rollenspiele.
Wie sehen solche Rollenspiele aus?
Die Streithähne wechseln einfach die Seiten. Derjenige, der den Turm eingerissen hat, darf ihn jetzt aufbauen. Die Kinder verstehen dann schnell: „Aha, so fühlt sich jetzt der andere.“ Es ist unglaublich, wie schnell Kinder dann eine Lösung finden, sie sind da unheimlich kreativ. Und letztlich braucht jeder Streit Regeln. Ohne Regeln und Gesetze funktioniert schließlich auch keine Gesellschaft.
Gibt es bewährte Streitregeln?
Streitregeln funktionieren nur, wenn sie nicht vorgesetzt werden, sondern wenn die Kinder sich die Regeln selbst erarbeiten. Man könnte zum Beispiel eine Kinder- oder Familienkonferenz abhalten und gemeinsam Streitregeln aushandeln. Diese sollten aber nicht nur verbal, sondern auch schriftlich festgehalten werden, für kleinere Kinder in Bildern. Wenn man als Erwachsener schon voraussieht, dass das, was sich die Kinder ausgedacht haben, nicht funktionieren kann, sollte man trotzdem abwarten. Das ist dann ein wunderbarer Lernprozess für die Kinder – auch Scheitern muss man lernen. Und loben, wenn es funktioniert, zum Beispiel: „Das habt ihr toll gelöst!“
Wann sollten sich Erwachsene einmischen?
Man sollte den Kindern vertrauen, nicht sofort einschreiten, erst einmal beobachten. Kinder müssen lernen, Konflikte selbst zu lösen, das muss man zulassen. Nur wenn sie sich gegenseitig Schaden zufügen, Stärkere auf Schwächere losgehen oder mit Gegenständen geworfen wird, sollte man einschreiten. Und wenn der große Ärger verraucht ist, kann man die Situation gemeinsam besprechen.
Nelly, 5 Jahre: „Neulich wollte ich Emma kitzeln, nur aus Spaß. Aber sie wollte nicht und hat gemeckert. Sonst zanke ich eher mit Jungs, weil die noch böserer sind. Wenn wir streiten, da tun wir uns weh, da schreien wir uns richtig an und sagen auch „Scheiße“ und „Kacke“. Aber ich sage das nicht, ich sage nur vornehme Wörter, aber die Jungs sagen so böse Wörter. Wenn sich zwei Kinder bei uns streiten, sag ich auch manchmal: Aufhören mit streiten, sonst sage ich es der Erzieherin.“
Tim, 6 Jahre: „Manchmal bin ich wütend, wenn ich bei den anderen nicht mitspielen kann. Dann schimpfe ich so laut ich kann, bis sich die anderen die Ohren zuhalten müssen. Manchmal haut mich der Flo im Kindergarten. Dann muss ich mich verteidigen. Meistens merkt er es nicht gleich, dann hau ich eben doller zu. Aber ich wünsche mir immer schnell, dass alles wieder gut ist und wir nie wieder streiten. Weil ohne Freunde spielen ist doof.“
Elisa, 5 Jahre: „Manchmal streite ich mit meiner Freundin, wenn sie nicht das macht, was ich will. Ich habe auch schon gesagt, dass ich nie wieder ihre Freundin sein will. Aber das war natürlich Quatsch. Einmal hat sie mir ohne Grund die Tür vor der Nase zugeknallt. Das war gemein und ich habe geweint. Aber wir streiten immer nur kurz. Wir kaspern dann rum und müssen lachen. Manchmal sagen wir sogar Entschuldigung, wir sind ja schon die Großen im Kindergarten.“