„Das soll kein Wettkampf sein, ich will den Gruppengeist stärken“ – Bogenschießen für Kinder

Von Claudia Hempel
Junge beim Bogenschießen

Montag Nachmittag 17 Uhr. In Dresden Trachau, in einem Eckhaus auf der Leipziger Straße, beginnt der Bogenschießkurs für Kinder. Wer zu spät kommt, muss vorsichtig sein, denn die Eingangstür liegt direkt in der Mitte der elf Meter langen Flugbahn. Auch deshalb schließt Trainer Boris Ludz die Tür immer ab, sobald die ersten Kinder an der Ziellinie stehen.

Heute ist es etwas ruhiger hier – fünf Kinder sind gekommen, vier Jungen und ein Mädchen. Alle zwischen 10 und 12 Jahre alt. Das Verhältnis von Jungen und Mädchen ist im offenen Kurs anders, als wenn er Kurse im Rahmen des Ganztagsangebotes in Schulen gibt, meint Kursleiter Boris Ludz: „In den Schulen ist das Verhältnis 50 zu 50 – genauso viele Mädchen wie Jungen. Ich weiß auch nicht, woran das liegt.“

Bogenschütze mit Trainer
Trainer Boris Ludz (links) und Gundrabahn (©Claudia Hempel)
Eine sibirische Oma und der Schütze Gundrabahn

Der 11-jährige Gundrabahn – sein Vater erzählt mir, das sei ein alter sächsischer Vorname – kam vor zwei Jahren das erste Mal hier vorbei. Eigentlich zu jung, denn das Einstiegsalter fürs Bogenschießen ist normalerweise 10 Jahre. Dann passen Kraft und Motorik physiologisch gut zusammen. Doch Trainer Boris Ludz meinte, er solle es einfach mal versuchen. Und tatsächlich: Es funktionierte.

„Gescoutet“ wurde Gundrabahn von seiner sibirischen Großmutter – na ja, fast zumindest. „Ich war mit meiner Oma in Tscheljabinsk auf einem Rummelplatz. Dort gab es eine Schießbude mit Luftgewehr. Da habe ich geschossen, und meine Oma war erstaunt, dass ich das so gut konnte.“ Zurück in Deutschland will sich der damals 9-jährige Gundrabahn sofort beim Luftgewehrschießkurs anmelden. Doch wer mit dem Luftgewehr schießen will, muss mindestens 14 Jahre alt sein. Irgendwann entdecken seine Eltern den Kurs zum Bogenschießen und gleich nach dem ersten Mal wusste Gundrabahn: Ich komme jetzt jede Woche!

Zitrone oder Monster?
Zielscheibe
©Claudia Hempel

Jeweils drei Kinder dürfen gleichzeitig schießen – mehr gibt die Breite des Raumes nicht her. Die Pfeile stecken in Regenrohren aus dem Baumarkt. Hinter jedem Kind ein Regenrohr. Zum Einschießen dienen für die ersten Runden Bilder als Zielscheiben. Wer schießt, kann wählen: Zitronen oder Monster.

Die meisten Kinder wählen die Zitronen. Gundrabahn legt den Pfeil in den Bogen ein, sein Vater sitzt neben mir, wir beobachten die erste Runde. Genauso Trainer Boris Ludz. Er hält sich im Hintergrund, er lässt die Kinder machen. Keine Anweisungen, keine Hilfestellungen, keine Verbote. Nur Blicke. Erst in der dritten oder vierten Runde dann ein kurzer Kommentar: „Schaut mal, dass ihr euren Bogen nach dem Schuss nicht gleich wieder runterzieht.“ Sehr konzentriert sind die Kinder und ausgesprochen leise.


Konzentration und Feinmotorik

„Es schult wunderbar die Konzentrationsfähigkeit. Dieses Sich-immer-wieder-neu-Justieren, schauen, wo soll der Pfeil hin, das erfordert Konzentration.“

Trainer Boris Ludz

Genau dafür ist auch Bogenschießen gut, erzählt Ludz: „Es schult wunderbar die Konzentrationsfähigkeit. Dieses Sich-immer-wieder-neu-Justieren, schauen, wo soll der Pfeil hin, das erfordert Konzentration.“ Und ganz nebenbei fördert es auch die Feinmotorik. „Es gibt immer wieder Kinder, die mit der Feinmotorik Schwierigkeiten haben. Da hilft es, den Pfeil in den Bogen einzulegen, den Bogen zu spannen, den Ankerpunkt zu finden. All das fördert die motorischen Fähigkeiten.“ Ankerpunkt? „Das ist die Hand an der Backe“, sagt Gundrabahn. Die Hand sollte bei vollem Auszug des gespannten Bogens am Kinn ankern. Dabei ist die Haltung aufrecht und leicht eingedreht, damit beide Schultern in einer Linie aufs Ziel ausgerichtet sind. „Aber die Schultern sollen entspannt unten sein“, ergänzt er noch. Das ist wichtig, denn beim Spannen der Sehne leisten die Muskeln der Schulterblätter die meiste Arbeit.

Haltung und die Ruhe vor dem Schuss

„Wenn ich verspannt bin, dann merke ich richtig, wie sich hier beim Training der Rücken entspannt.“

Gundrabahn

Bogenschießen ist Schultertraining – mehr als Armtraining, wie viele vermuten. Durch diese Position wird der Brustkorb automatisch weit, und tiefes Ein- und Ausatmen unterstützt die Ruhe vor dem Schuss. Der Moment, in dem der Bogen gespannt wird, sollte mit einem tiefen Ausatmen begleitet werden. Das gibt gleichermaßen Ruhe, Kraft, Konzentration und Lockerheit. Das muss eingeübt werden, darüber fördert das Bogenschießen auch die Selbstwahrnehmung. Der 49-jährige Trainer hat beobachtet: „Es gibt viele Kinder, die Schwierigkeiten haben, sich selbst zu spüren. Wenn ich sage: ‚Du stehst total schief‘, merken die das gar nicht. Was ja nicht schlimm ist, aber genau das kann man gut trainieren. Die Kinder können sich schulen, ihren Körper wieder wahrzunehmen – wo muss ich etwas regulieren? Wie stehe ich?“

Bogenschütze beim Zielen
©Claudia Hempel

Gundrabahn steht ziemlich gut. Man kann sehen, dass er geübt ist. Er dreht sich zu mir um und sagt: „Wenn ich verspannt bin, dann merke ich richtig, wie sich hier beim Training der Rücken entspannt.“ Und sein Vater Karsten Urban ergänzt: „Das ist erstaunlich. Er hat eine bessere Körperhaltung bekommen, seitdem er hier ist.“

Spielen und Zielen

Wenn alle Pfeile abgeschossen sind, rennen die Kinder die elf Meter lange Bahn nach vorn. „Ihr wart diesmal bisschen zu hektisch. Ihr müsst auf die Höhe gucken.“ Viele Pfeile stecken neben dem Ziel, zwei liegen auf dem Boden. „Passt beim Rausziehen auf, dass ihr euch nicht pikst – nicht dranhängen an das Ziel.“ Das sei normal, meint Boris Ludz, nach einer Dreiviertelstunde lässt die Konzentration nach. „Dann mache ich ein paar Bewegungsübungen, Strecksprünge oder Liegestütze, das hilft ganz gut. Danach sind die Kinder wieder ruhiger.“ Immerhin sind eine Stunde hier keine 60 Minuten, sondern 75. Die zusätzliche Zeit braucht der Trainer für ein paar spielerische Einheiten. Dann werden nämlich nicht mehr Zitronen oder Monster geschossen, sondern es wird gewürfelt, es werden Schiffe versenkt oder Karten gezogen.

Bogenschütze und Hund
Anouk ist ein Siberian Husky und er gehört dem Trainer.
(©Claudia Hempel)

Wie jetzt? Also doch kein Bogenschießen mehr? Nein, lasse ich mir erklären, spielerisches Bogenschießen eben. Drei Kinder bekommen zehn Würfel. Damit würfeln sie zehn Zahlen. Diese Zahlen müssen sie dann abschießen.

Und das Kartenziehen funktioniert so: Auf den Karten ist etwas zu essen drauf – Pommes mit Ketchup, ein Hotdog oder ein Burger. Jetzt müssen die Kinder die Zutaten dafür abschießen, die als Zielscheibe vorn hängen. Ein kleiner Kochkurs ist also auch integriert. „Zusammen in der Gruppe Spaß zu haben, das ist mir wichtig. Dass die Kinder spielerisch mit Pfeil und Bogen umgehen. Dafür denke ich mir immer wieder Spiele aus. Das soll kein Wettkampf sein, ich will den Gruppengeist stärken.“ Das funktioniert ausgesprochen gut.

Boris Ludz kennt sich bestens damit aus, denn nach seinem Sozialpädagogikstudium hat er eine erlebnispädagogische Ausbildung gemacht, von Schleswig-Holstein ist er nach Dresden gezogen und hat vor zehn Jahren die Bogenschule eröffnet. Ein Glück für Kinder wie Gundrabahn, die hier einen Nachmittag pro Woche ihren Bogen spannen dürfen.

75 Minuten Training kosten 12 Euro
Eine Zehnerkarte kostet 100 Euro
Mehr Infos auf der Webseite: www.bogen-abenteuer.de

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