Alle Farben grau

Von Ingrid Exo

In allem, was Paul tut, ist Paul gut, unfassbar gut, unerreichbar gut. Und als er beschließt, zu sterben, sorgt er dafür, dass man ihn nicht so bald findet. Alle Farben grau ist ein Buch über Paul, ein Buch über den Wunsch, ihn verstehen zu wollen und zu verstehen, warum er sich mit 16 das Leben nahm. Über den Blick zurück und eine Orientierung, um weiterleben zu können – ohne ihn.

Paul ist in vielerlei Hinsicht besonders. Er hat besondere Interessen; er liebt Musik, die in der Jugend seiner Eltern aktuell war, er verehrt David Bowie und weiß alles über ihn. Aus Begeisterung für japanische Mangas hat er Japanisch gelernt und ein japanisches Internat besucht. Er zockt League of Legends, auch darin ist er unvergleichlich gut. Und er liebt Katzen.

In vielem wird Paul von seiner Umwelt als Sonderling wahrgenommen. Dass er innere Konflikte und Kämpfe mit inneren Stimmen auszutragen hat, ist von daher selbst für seine Familie zunächst nicht offensichtlich. Diese Konflikte nehmen in seiner Zeit im japanischen Internat überhand, sodass er zurückkehrt, um sich präventiv in die Jugendpsychiatrie, „die Klapse“, einweisen zu lassen. Erst dort erhält er auch die Diagnose Asperger-Autismus. Beides Aspekte psychischen Leidens, die nicht eigens hervorgehoben werden, sondern sich fast nebenbei erschließen.

Autor Martin Schäuble setzt das Bild, das wir allmählich von Paul bekommen, aus vielen Facetten und verschiedenen Tonarten zusammen. Er lässt ihn in gewitztem, lakonischem Tonfall selbst sprechen, durch andere Menschen in seinem Leben – in der Schule, im japanischen Internat oder in der Jugendpsychiatrie – bekommen wir eine Außenperspektive. Mal subjektiv und persönlich, mal nach Art eines zusammengefassten Interviewgesprächs, etwa mit dem Japanischlehrer oder mit Pauls bestem Freund Noah.

Dieser Roman gewährt lebendige, nachfühlbare und eindringliche Einblicke in den Alltag und die Innenwelten nicht nur von Paul, sondern auch von den Jugendlichen in seinem Umfeld, von Alina beispielsweise, die ihrerseits wegen zweier Suizidversuche in der jugendpsychiatrischen Akutstation ist, oder von Lien, Pauls Mitschülerin in Japan, für die er schwärmte. Es wird deutlich, dass diese Zeit des Heranwachsens für viele kompliziert ist, dass Jugendliche sich nicht selten überfordert und hilflos fühlen und man psychische Probleme dennoch nicht als Phase abtun sollte, die von allein vergeht.

Dieses Buch, das von Pauls Lebensende seinen Ausgang nahm, ist deshalb auch ein Anfang. Die Eltern des Jungen, dessen Geschichte hier mit fiktionalen Anteilen geschildert wird, haben nach seinem Tod viel Zuspruch erfahren und von vielen ähnlichen Geschichten, von denen sie bis dahin nichts gewusst hatten, weil niemand sich damit an die Öffentlichkeit traut. Dass es so viele waren, hat sie so erschreckt, dass sie diesem Tabu entgegentreten wollen, indem sie in vielen Interviews darüber sprechen und die Initiative tomoni ins Leben gerufen haben. Damit mehr über Suizidprävention gesprochen wird und psychische Krankheiten eher erkannt werden können.

Buchcover Alle Farben Grau

Martin Schäuble
Alle Farben grau
Verlag: Fischer (2023)
Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene

Begleitend zum Buch stellt der S. Fischer Verlag eigens Unterrichtsmaterial zu dem Buch über psychische Erkrankungen bei Jugendlichen zum Download bereit unter: https://bilder-fischer-sauerlaender.s3.eu-central-1.amazonaws.com/s3fs-public/2024-10/Alle_Farben_grau_Unterrichtsmaterialien_978-3-7373-4329-9.pdf

Ein Teil der Verkaufserlöse kommt der Arbeit von „tomoni mental health“ zugute. Das gemeinnützige Unternehmen haben die Eltern des echten „Pauls“ zwei Jahre nach seinem Suizid gegründet.
www.tomonimentalhealth.org: „Zusammen für die psychische Gesundheit junger Menschen“

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