Theater als Menschenrecht

Von Claudia Hempel
Theater

Das Dresdner tjg. theater junge generation bietet schon den Allerkleinsten ein besonderes Kulturerlebnis. Grundlage ist ein Konzept, das auch für die Jüngsten das Recht auf kulturelle Teilhabe an Kunst umsetzen will.

„Sie sind das ehrlichste Publikum der Welt, das man sich vorstellen kann. Sie stehen auf und weinen, nörgeln, sind abgelenkt oder verlassen den Raum.“
Wenn Anke Engler, studierte Theaterpädagogin und Leiterin der Theaterakademie am tjg. theater junge generation in Dresden, über ihre junge Zuschauerschaft spricht, ahnt man, dass es hier um eine ganz besondere Beziehung geht. Denn das oben beschriebene Publikum ist nicht nur sehr geradeaus mit seiner Kritik, es ist wohl auch das jüngste Publikum, das man sich vorstellen kann.

Zwischen 2 und 4 Jahre sind sie alt, die Allerkleinsten, denen das Team am tjg. theater junge generation ein ganz besonderes Erlebnis ermöglicht. Für diese Kinder ist ein Theaterbesuch oft der erste Moment im Leben, an dem sie ein Theater als Ort kennenlernen. Sie machen hier die Bekanntschaft mit einer bislang völlig fremden Welt. Und für diesen besonderen Moment braucht es nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern auch ein ganz besonderes Theaterkonzept.

Die Idee für dieses Konzept entstand auf einem deutschlandweiten Symposium, das 2005 in Hamm stattfand. Denn bis dahin gab es einen gewissen Widerspruch zwischen dem Recht auf kulturelle Teilhabe – gemäß Artikel 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – und der Tatsache, dass unter 3-Jährige vom Theaterbesuch faktisch ausgeschlossen waren, weil man annahm, dass sie die Regeln des bürgerlichen Präsentationstheaters nicht verstehen werden.

So begannen vier deutsche Theater, im Rahmen eines Projekts ein Theaterkonzept für die Allerkleinsten zu entwickeln. Dadurch wurde Dresden vor nunmehr anderthalb Jahrzehnten zum Motor und Experimentierfeld für eine ganz neue Art von Theater. 2008 fand hier das „1. Nationale Festival für die Allerkleinsten im Theater“ statt und zeigte einem Fachpublikum, wie man für 2-Jährige Theater macht.
Doch am Anfang stand die Frage: Was brauchen sie denn, die Allerkleinsten? Und im Grunde kann man die Frage recht eindeutig beantworten: gute Unterhaltung ohne Angst oder Überforderung.

THEATER NACH BESONDEREN REGELN

Um das zu erreichen, gilt es ein paar Punkte zu berücksichtigen, die sich vom Jugend- oder Erwachsenentheater unterscheiden.

Die ersten beiden Punkte sollen die Angst nehmen. Immerhin geschieht hier etwas ganz Neues im Leben der Kinder. Dunkelheit verunsichert und eine geschlossene Tür bedeutet: Aus dieser Situation kommst du nicht wieder raus. „So einen Moment der Verunsicherung wollen wir unbedingt vermeiden“, sagt Anke Engler „die offenen Türen sind ein Angebot, was da ist, aber selten genutzt wird.“

Und Punkt 3? Der weiße Strich? Bevor die Kinder in den Zuschauerraum gehen, gibt es eine Flüsteransage. Dabei wird auch noch einmal erklärt, dass es einen Spielraum und einen Zuschauerbereich gibt. Im Zuschauerbereich sind die Kinder, im Spielraum nicht. Der Spielraum gehört den Spielerinnen und Spielern. Die weiße Linie ist sozusagen die Grenze zwischen beiden Welten. „Ich erinnere mich noch sehr deutlich an einen kleinen Jungen, den es nicht mehr auf seinem Sitz gehalten hat, der ist vor zum Spielraum. Und während der Vorstellung hat er immer wieder imitiert, was auf der Bühne passiert ist. Aber er hat ganz genau geschaut, wo die weiße Linie ist und hat sie nie übertreten.“

ATMOSPHÄREN ERKUNDEN

Die Kinder fesseln, begeistern, mitnehmen, das wollen die Theaterleute – für die Allerkleinsten sind 30 bis 45 Minuten das Maximum an Aufmerksamkeitsspanne. Daher ist ein Stück möglichst auch nicht länger als eine gute halbe Stunde. Was aber passiert dann im Spielraum, wenn keine Geschichte erzählt wird? „Kleine Kinder können keine Erzählstränge verfolgen oder überlegen, was hat Figur A oder B gedacht“, fasst Anke Engler zusammen, „wir suchen daher nach künstlerischen Atmosphären, nach Bildern, nach Lebensweltbereichen, die für diese Kinder gerade interessant sind.“ So entstand zum Beispiel aus der Erforschung von Licht und Dunkel das allererste Bühnenstück namens „Funkeldunkellichtgedicht“ – ein Klassiker, der immer noch aufgeführt wird. Dort finden Kinder die Antwort auf Fragen wie: Leuchtet die Dunkelheit? Wie klingt Licht? Kann man Farben fischen? Lässt sich der Mond fangen? Das Stück ist so erfolgreich, dass es bereits nach Russland, Finnland, Schweden, in die Niederlande und nach Liechtenstein eingeladen wurde.
„Boing!“ ist eine Tanztheaterproduktion, in der Kugeln gegeneinanderprallen, Murmeln rollen, Bälle sich an- und abstoßen. Und in „Zeig mal!“ geht es ums Vormachen, Nachmachen, Mitmachen.

Theater für die Allerkleinsten spielt also keine Rollen, sondern bietet eine Experimentierfläche und diese Experimentierfläche kann man nach dem Stück, im sogenannten Nachspiel, selbst erproben. Dann nämlich dürfen alle Kinder auf die Bühne kommen und die Dinge ausprobieren, die vorher als Requisiten ausschließlich für die Spieler und nur zum Betrachten da waren. Sie können über eine Matte rollen oder über ein Rohr steigen, können Kugeln rollen lassen oder die Schattenwand erforschen. Dieser Moment der Nachbereitung ist sehr wichtig für die Kleinen, so können sie das Gesehene wortwörtlich begreifen.

Im Zweijahresrhythmus werden die Stücke von einem Team aus Regie, Dramaturgie, Spielern und Spielerinnen sowie Theaterpädagoginnen entwickelt. Dabei achten sie sehr darauf, ob das, was sie sich ausdenken, auch funktioniert, sagt Anke Engler. „Ich sage immer: Wir gucken den Kindern beim Gucken zu.“

Normalerweise bietet das tjg. theater junge generation auch eine sogenannte „mobile Inszenierung“ an. Das heißt, ein Stück kann auch direkt im Kindergarten aufgeführt werden. Momentan steht noch nicht fest, wann dies wieder möglich sein wird. Mit dem Beginn der neuen Spielzeit wird es aber auf jeden Fall eine theaterpädagogische Vor- und Nachbereitung der Inszenierung geben, also Gespräche mit den Kindern in der Kita.
Näheres erfährt man unter der Telefonnummer 0351 – 32 04 27 04, dort berät man auch zu allen Angeboten für Gruppen, Kindergärten oder
Schulen. Kontakt per Mail: gruppen@tjg-dresden.de

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